Bitteres Blut
blieb. Böse hat, wo immer er konnte, seine immense Macht rücksichtslos eingesetzt, um seine Rachegefühle zu befriedigen. Noch nicht mal seine eigene Familie war ihm heilig, noch nicht mal seine eigene Familie!«
Hypertonisch, dachte Lorinser, als das empörte, aschige Gesicht seines Gegenübers sich wie unter innerem Druck rötete. »Sie sprechen von seinem Bruder?«
»Ich spreche davon, dass dieser elende Schweinehund keine moralischen Werte anerkennt und alles und jedes seinen Zielen unterordnet, gleichgültig, welche Folgen es hat! Ob das nach wie vor kursierende Gerücht zutrifft, er habe Hinrich ermordet, weiß ich natürlich nicht«, sagte er und bestätigte seine Aussage mit einem Nicken in Richtung Steinbrecher. »Dass er jedoch mindestens die moralische Verantwortung für dessen Tod trägt, steht für mich außer Zweifel.«
»Heißt also, dass er seinen Bruder in den Tod getrieben hat?«, fragte Lorinser, der das von Bossen heraufbeschworene schaurige Bild des nur noch an seiner Haut hängenden Toten vor sich sah.
»Hinrich war keiner, der sich in den Tod hätte treiben lassen. Er liebte seine Arbeit, liebte das Leben, besaß die Schlüsselpatente im Bereich der Polymerentwicklung, verfügte über eine ganze Palette revolutionärer Produkte, nach denen die Industrie schrie. Er hätte nur mit dem kleinen Finger winken müssen, und die führenden internationalen Konzerne hätten ihn mit Geld zugeschüttet. Lächerlich anzunehmen, er sei auf Zuwendungen seines Bruders angewiesen gewesen. Noch lächerlicher, er habe vor dem Ruin gestanden und sich aus Verzweiflung das Leben genommen.« Kröger schüttelte den Kopf. »Nein, nichts dergleichen. Hinrich war fünf Stunden vor seinem Tod in meinem Haus in Stemshorn. Ich kann Ihnen versichern und belegen, dass es für ihn keinen Anlass zu der von der Polizei behaupteten Verzweiflung gab, die ihn angeblich in den Freitod getrieben hat. Ganz im Gegenteil, er hatte gute Gründe, zuversichtlich zu sein.«
»Er kann Sie getäuscht haben.«
Kröger rückte seinen Stuhl nach hinten und schlug, die rechte Hand wie zur Abwehr hebend, die Beine übereinander. »Ich habe seine Gedanken nicht gelesen«, sagte er freundlich und sarkastisch zugleich, »ich bezweifle jedoch, dass ein Mann sich wenige Stunden nach der Unterzeichnung eines Vertrages, der ihn aller finanziellen Sorgen enthebt, umbringt.«
Lorinsers Handy klingelte. »Sie haben ihm Geld gegeben?«
»Ich bin gegen die Übernahme seiner Verbindlichkeiten und unter der Bereitstellung einer hohen Summe in seine Unternehmen eingetreten. An jenem Abend haben wir den Vertrag von meinem damaligen Notar beglaubigen lassen. Das war mein Einstieg in die K-Tec.«
»Haben Sie das der Polizei mitgeteilt?«, fragte Lorinser, während er das Handy aus der Tasche zog. »Einen kleinen Augenblick«, bat er und drückte die grüne Taste.
»Halvesleben«, dröhnte die Stimme des Journalisten an sein Ohr. »Sie wollen mich sprechen?«
»Will ich«, sagte Lorinser. »Sind Sie zu Hause anzutreffen?«
»Nicht vor zwei.«
»Wenn Sie erlauben, sehen wir uns dann«, sagte Lorinser, schaltete das Gerät ab und sah Kröger fragend an. Der reagierte sichtlich gereizt.
»Selbstverständlich habe ich das! Auf sechs Seiten haben mein Notar und ich meine damalige Geschäftsbeziehung zu Hinrich Böse und speziell den besagten Abschluss protokolliert. In diesem Protokoll finden Sie meine jetzigen Angaben in allen Punkten bestätigt. Allerdings bezweifle ich, dass Sie die Akte finden werden. Uns ist es jedenfalls nicht gelungen.«
Steinbrecher ebenso wenig. Der Kollege hatte zwar in der Bestandskartei Verweise, aber die Akte selbst nicht ausgraben können.
»Welches Interesse hatten Sie an der Akte?«
»Ein elementares«, sagte Kröger bitter. »Böse hatte mich wieder mal in einen der unzähligen Prozesse um die von Hinrich hinterlassenen und von mir erworbenen Patente verstrickt. Er behauptete, ich hätte sie auf krummen Wegen ergaunert und forderte nicht nur die Rückgabe, sondern hohe Entschädigungen aus entgangenen Gewinnen. Um seine Anschuldigungen ad absurdum zu führen, legten wir unsere mit Hinrich geschlossenen Verträge vor. Böse beschuldigte mich, sie nachträglich gefälscht zu haben. Um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, beantragten wir daraufhin die Hinzuziehung der Protokolle. Zu unserem Erstaunen hatte die Gegenseite keine Einwände. Der Richter ordnete die Beibringung der Akte entsprechend unserem Antrag auch an.
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