Bitteres Blut
Wintergarten, von dem aus der rückwärtige, noch mit Bauschutt übersäte Garten zu sehen war.
»Setzen Sie sich doch! Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Mein Bruder hat gerade Kaffee gemacht … oder vielleicht was Kaltes?«
Die beiden Beamten entschieden sich für Kaffee.
»Moritz?«
»Ja, ich hab’s gehört«, erklang die gleiche Stimme, die den Hund zur Räson gebracht hatte. »Soll ich dir auch eine Tasse mitbringen?«
»Ja, und vergiss den Zucker nicht.« Ein jähes Auflachen nahm das Leiden aus ihrem Gesicht. »Er nimmt nur Milch und vergisst immer wieder, dass ich es süß mag«, erklärte sie mit schriller, gar nicht fröhlicher Stimme. Auch an ihren Armen, die sich um die Lehne des am Kopfende stehenden Stuhls legten, entdeckte Lorinser mehrere kreisrunde Narben, als wenn die Haut mit Zigaretten traktiert worden wäre.
»Sind Sie denn weitergekommen?«
»Kommt darauf an, von welchem Standpunkt man es betrachtet«, sagte Steinbrecher nach einem warnenden Blick Lorinsers.
»Standpunkt? Heißt das …?«
»Dass unsere Ermittlungen noch im Gange sind«, sagte Lorinser. »Wie gut kennen Sie Böse?«
Melanies Arme schlossen sich noch fester um die Armlehne. »Wie gut?« Ihr Blick wanderte in Richtung Durchgang, aus dem, den schwarzen Labrador an seiner Seite, Moritz Simmerau mit einem mit Geschirr beladenen, lichtgrünen Glastablett trat. Dunkelbraune Haare, dunkle Augen, dunkle Bartschatten, tief gebräunt. Er trug eine eng anliegende, beige Reiterhose und ein schwarzes T-Shirt, das die Bräune seiner glatten Haut noch betonte. An den Füßen Birkenstocklatschen.
»Eigentlich gar nicht so gut«, sagte Melanie zögernd. »Ich wusste nie, wie ich ihn einschätzen sollte.«
»Hat auch fast nur mit Gertie zu tun gehabt«, sagte Moritz. »Mit Mutter«, ergänzte er, als er das Tablett absetzte. »Moritz Simmerau«, fügte er hinzu und wischte die rechte Hand an der Jeans ab, ehe er sie zuerst Steinbrecher, dann Lorinser reichte. »Haben Sie schon etwas herausgefunden?«
Fester Händedruck. Geradezu schmerzhaft, fand Lorinser. Nicht die Spur eines Dialektes. In den Augen keine Frage, sondern unverbindliche Selbstsicherheit. Die Tassen klapperten auf den Untertellern, als er sie auf den Tisch stellte.
»Wir sind einen gehörigen Schritt weitergekommen«, sagte Lorinser. Er wandte sich wieder an Melanie. »Wann haben Sie Böse zuletzt gesehen?«
»Am Sonntag. Ich war mit meiner Mutter auf dem Schützenfest und habe ihn da getroffen. Wir haben was getrunken. Ich hab auch mit ihm getanzt und … Ich bin dann so um halb zwölf herum gegangen.«
»Nach Hause?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte noch eine Verabredung. In der ›Leuenfort Schänke‹. Um zwölf.«
»Eine geplatzte«, sagte Moritz nicht ohne Häme.
»Ja, eine geplatzte«, äffte die junge Frau ihn nach. »Aber das ist einzig und alleine meine Sache.« Sie nestelte Zigaretten aus einem unter ihrem T-Shirt verborgenen Lederbeutel und zündete sie tief inhalierend an. Moritz schüttelte missbilligend den Kopf.
»Du kannst es einfach nicht lassen, was?«
»Ist doch mein Bier!«
Moritz verzog angewidert den Mund. »Aber auch meine Luft, die du verpestest!«
»Wann sind Sie nach Hause gekommen?«, fragte Lorinser, die plötzliche Spannung zwischen den Geschwistern registrierend.
»Weiß ich nicht mehr«, stieß Melanie aggressiv hervor. »Es war aber schon recht spät.«
»Wir haben schon geschlafen«, warf Moritz ein. »Meine Mutter und ich.«
Lorinser schenkte sich Kaffee ein. »Wie spät war es? Ihrem Gefühl nach?«
»Zwei, vielleicht drei«, sagte Melanie. »Vielleicht sogar später. Ich weiß es wirklich nicht mehr.
»Während der ganzen Zeit waren Sie in der Schänke?«
»Nein. Ich habe ’ne Zeit lang gewartet, noch eine Gulaschsuppe gegessen und bin dann wieder zum Schützenfest. Aber Mutti war schon weg. Mein Bruder auch. Ich bin geblieben, bisdie mit dem Aufräumen anfingen. Die Frau vom Pastor war auch noch da. Ich habe sie dann mitgenommen und beim Griechen, da an der Kirche, abgesetzt.«
»Ich habe jedenfalls nicht gehört, dass du gekommen bist«, sagte Moritz. Er blickte Steinbrecher an. »Der Hund bellt nicht, wenn einer von der Familie hereinkommt. Ich glaube, das ist jetzt Gertie«, fügte er hinzu, als die Haustür aufgestoßen wurde. »Ich hole noch eine Tasse.«
Mit einem »Halli, Hallo« betrat Gertraude Simmerau die Halle, ganz in Weiß, an beiden Händen Einkaufstüten. Der Hund sprang an ihr hoch.
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