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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
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und den stechenden, vom Hinterkopf ausgehenden Schmerz hatten die Medikamente eliminiert. Was ihn wirklich belastete, war der alte Mann im gegenüberliegenden Bett, der, mit Kabeln und Schläuchen verdrahtet, mit weit aufgerissenem Mund erbarmungswürdig röchelte.
    Er schlug die Decke zurück, ließ die Beine über den Bettrand gleiten und suchte nach seiner Armbanduhr. Er fand sie in der Schublade des Beistellschrankes. Elf Uhr vierzehn. Als er die Stirn runzelte, blühte der Schmerz an der Schläfe wieder auf. Katta fiel ihm ein. Er hatte sie vor dem Einsatz, der auf der Suche nach dem Riesenbaby durch ein halbes Dutzend Kneipen führte, angerufen und ihr gesagt, dass es später werden würde. Der Dienst, verstehst du? Mach dir nur keine Gedanken, hatte sie gesagt. Mir geht’s vor deinem Fernseher ganz gut. Paula, die er auf dem Handy erreicht hatte, war recht einsilbig gewesen und hatte ihn spitz daran erinnert, dass sie nicht verheiratet seien. Was auch immer ihr dabei in den Sinn gekommen sein mochte.
    Er erhob sich. Seine Beine, noch ein bisschen wie Gummi, hielten stand, auch als er vor dem Badezimmerspiegel stand und sich prüfend musterte. Muss an den Medikamenten liegen, mit der sie deinen Widerstand gegen die Einweisung niedergespritzt haben, dachte er, während ihm das schemenhafte Bild des Oberarztes durch den Kopf ging, der schief lächelnd sein Bedauern darüber ausgedrückt hatte, ihn aus Platzgründen vorläufig in das Zimmer zu dem sterbenden alten Mann legen zu müssen. Dumpf erinnerte er sich an die Prozedur in dem für seine Begriffe überheizten Untersuchungsraum, an das kleine Licht, das in seinen Augen blitzte, die tastenden Hände an seinem Kopf und die Röntgenaufnahmen, die bestätigt hatten, dass sein Schädel ganz schön widerstandsfähig war. Keine Risse, keine Brüche, nur eine Platzwunde, die im Takt seines Herzens Schmerz pumpte. Auf jeden Fall bist du ganz schön verbogen, dachte er, als er die blau angelaufene Beule über dem Wangenknochen betrachtete. Die linke Schläfe, seiner Erinnerung nach die erste Einschlagstelle des Hockers, war von einem dicken Verband verdeckt. Hoffentlich,dachte er, um seine blonde Haarpracht besorgt, haben sie dir an der Stelle keine Glatze rasiert. In diesem Augenblick klopfte es an der Tür.
    Es war Steinbrecher, gefolgt von einer düster dreinblickenden Hildebrandt in Jeans und rotem Bolerojäckchen, die einen in Zellophan eingewickelten Blumenstrauß in den Händen hielt und überrascht stehen blieb, als sie Lorinser in seinem Nachthemd vor dem Waschbecken entdeckte.
    »Gott sei Dank«, sagte sie erleichtert. »Sie haben uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«
    Klingt nach Gefühl, dachte er, das überaus hübsche Gesicht Hildebrandts nach Spuren innerer Beteiligung absuchend, ist aber wohl nichts weiter als kollegiale Pflicht. Kommt ja nicht jeden Tag vor, dass einer aus der Truppe sozusagen den Heldentod probt. Aber eine nette Geste, dieser Besuch. Und der Blumenstrauß, rote, blaue und gelbe Blumen mit weißem Schleierkraut, war ganz nach seinem Geschmack.
    »Lag nicht in meiner Absicht, das können Sie mir glauben.«
    »Dieses hinterhältige Aas!«, knurrte der verlegen wirkende Steinbrecher.
    Hildebrandt warf ihm einen irritierten Blick zu, begriff aber, dass nicht sie, sondern der hockerschwingende Täter gemeint war. Sie reichte Lorinser den Blumenstrauß. »Mit den besten Genesungswünschen von uns allen.«
    »So krank fühle ich mich gar nicht. Aber besten Dank.«
    »Hört sich ja an, als wollten Sie schon wieder über Tische und Bänke springen.«
    »Nicht wirklich.« Er deutete mit dem Kinn auf das Fenster. »Ich wäre nur viel lieber da draußen. Was mir aber wirklich abgeht, ist eine ordentliche Zigarette.«
    »Damit kann ich Ihnen nun wirklich nicht dienen. Und erlaubt ist es bestimmt auch nicht.«
    »Kannste denn schon richtig gehen?«, fragte Steinbrecher, dessen breites Gesicht noch zerknitterter als sonst aussah.
    »Siehst du das nicht?«
    »Stehen ist nicht gehen. Und ich sag das, weil am Ende des Flurs ein Raucherraum ist.«
    »Wir brauchen erst mal eine Vase«, sagte Hildebrandt energisch. Sie nahm Lorinser die Blumen ab, ging einige Schritte und blickte sich suchend im Zimmer um. Sie zuckte zusammen, als sie den röchelnden Mann entdeckte. »Mein Gott«, entfuhr es ihr, und in ihren Augen war das gleiche mitleidige Entsetzen, das auch Lorinser beim Anblick des Kranken ergriffen hatte. Sie kehrte zurück und sah ihn

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