Bitteres Geheimnis
nicht.«
»Weißt du, warum du es getan hast?«
Sie wandte den Blick ab. »Ich glaub schon.«
»Dann sprechen wir darüber.«
Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm ins Gesicht.
»Mein Vater war nicht da. Und Mike «
»Das ist dein Freund?«
»Ja. Wir sind seit einem Jahr zusammen. Wir wollten später mal heiraten. Er hat mir nicht geglaubt. Genau wie alle anderen.«
»Was meinst du, wenn du sagst, dein Vater war nicht da?«
»Na ja, ich wollte eben, daß er da ist, und er war nicht da.«
»Aber deine Mutter war doch da. Das sagte sie mir.«
»Ja ...«
»Aber du wolltest lieber mit deinem Vater sprechen?«
»Ja. «
»Wußtest du denn nicht, daß er im Büro war? lch meine, wieso hast du erwartet, daß er zu Hause sein würde?«
Sie senkte die Lider. »Weil er gestern nicht im Büro war. Er war - er war weg und suchte -«
Jonas Wade runzelte die Stirn. »Was suchte er, Mary?«
»Er suchte jemanden, der eine Abtreibung machen kann«, flüsterte sie.
»Oh. Ich verstehe.«
»Darum hab ich's getan.«
»Hast du denn bei niemandem Hilfe gesucht?«
»Ich wollte keine Hilfe. Seit Sie meiner Mutter gesagt haben, daß ich ein Kind erwarte, ist alles ganz furchtbar. Alle sind unglücklich und total verstört. Sogar Pater Crispin. Er hat es nicht gesagt, aber ich hab's ihm angesehen. Alle sind meinetwegen unglücklich. Da dachte ich mir, sie würden alle froh sein, wenn ich nicht mehr da bin.«
»Mary, Selbstmord ist nie eine Lösung. Du weißt doch, daß deine Eltern es nie verwinden würden, wenn du dir das Leben nehmen würdest.«
»Ach, ich weiß nicht -«
»Natürlich weißt du es. Vielleicht wolltest du sie bestrafen. Hast du daran einmal gedacht?«
Ihre Augen blitzten zornig. »Sie hätten es verdient, oder nicht? Sie glauben mir nicht, obwohl ich die Wahrheit sage. Sie behaupten, daß ich lüge, beschuldigen Mike, reden von Abtreibung. Das ist grauenhaft. Wieso finden sie überhaupt Abtreibung plötzlich in Ordnung?«
»Ich habe den Eindruck, du bist ziemlich zornig über diese ganze Sache.«
»Ich habe nichts Unrechtes getan, Dr. Wade, aber alle behandeln sie mich wie eine Verbrecherin. Schön, wenn sie mich nicht mögen und nicht mehr haben wollen - bitte sehr, das kann ich leicht arrangieren.«
»Mary! Hast du das alles auch deinen Eltern gesagt? Wissen sie, wie dir zumute ist?«
Sie drehte den Kopf wieder zur Seite. »Nein.«
»Warum nicht?«
»Darum.«
»Das ist keine Antwort.«
»Weil es ihnen sowieso egal ist.«
»Du scheinst zu glauben, daß es mir nicht egal ist.«
Sie riß ihren Kopf herum und sah ihn mit leuchtenden Augen an. »Ja«, antwortete sie heftig. »Das glaube ich. Ihnen bin ich nicht egal. Sie verstehen mich. Vorgestern abend, als meine Eltern zu Ihnen in die Praxis kamen, um mich zu holen, sagten Sie, sie glaubten nicht, daß ich lüge.«
»Das ist richtig, Mary«, sagte er. »Aber«, fügte er ernst hinzu, »daß heißt noch nicht, daß ich dir glaube. Es ist da ein Unterschied. Ich sagte nur, daß du meiner Ansicht nach selbst glaubst, was du sagst; aber ich wollte damit nicht sagen, daß es wahr sein muß.«
»Das spielt keine Rolle. Das Entscheidende ist doch, daß Sie mich nicht für eine Lügnerin halten, Dr. Wade. Sie glauben nicht, daß ich etwas Unrechtes getan habe.«
Jonas Wade hatte Mühe, seine Beunruhigung zu verbergen. Mit leicht zusammengekniffenen Augen sah er in das junge hoffungsvolle Gesicht und war einen Moment lang versucht, ihr von seinen Nachforschungen zu berichten. Aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Es wäre leichtfertig gewesen, ihr schon jetzt etwas davon zu sagen. Er wollte wenigstens warten, bis er mit der Embryologin gesprochen hatte, die Bernie ihm empfohlen hatte.
»Dr. Wade«, sagte Mary leise, »wenn Sie der Ansicht sind, daß ich selbst es glaube, wenn ich sage, daß ich nicht mit einem Jungen geschlafen habe, glauben Sie dann auch, daß ich es wirklich nicht getan habe?«
»Unsere Psyche tut die komischsten Dinge, Mary. Vielleicht hast du etwas getan und erinnerst dich einfach nicht mehr daran.«
Sie schüttelte mit Entschiedenheit den Kopf. »Nein. Ich habe nie mit einem Jungen geschlafen.«
Pater Crispin und die McFarlands saßen draußen im Korridor. »Danke, daß Sie gewartet haben«, sagte Jonas Wade. »Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Pater Crispin, ich bin Ihnen für Ihren Beistand in dieser Angelegenheit dankbar.«
Er führte sie zum Ärztezimmer, und als alle sich gesetzt hatten, sagte er:
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