Bitteres Geheimnis
angesichts des Wunders durch den heiligen Sebastian unwohl fühlten; ihr sollte es nur recht sein, wenn Dr. Wade etwas zu ihrer Beruhigung tun konnte.
Auf der Kommode neben ihr lag ein Stapel Bücher aus der Bibliothek, die sie zurückgeben mußte. Das unterste, >Königin des Himmels<, hatte sie als erstes gelesen: eine umfangreiche Studie über die Jungfrau Maria. Obwohl das Buch mehr als tausend Seiten hatte, bot es wenig an konkreten Fakten oder neuem Material. In der Hauptsache war es eine Zusammenstellung mittelalterlicher Vorstellungen zum Marienkult. Mary hatte aus dem Buch nur zwei Dinge erfahren, die ihr neu waren: daß die Jungfrau selbst empfangen worden war, als ihre Mutter Anna von Joachim auf die Wange geküßt worden war; und daß Maria Jesus ohne Schmerzen und ohne Blutvergießen geboren hatte.
Die anderen Bücher behandelten ähnliche Themen außerhalb des christlichen Glaubens; klassische Mythologie. Ihnen hatte Mary andere Beispiele jungfräulicher Empfängnis entnommen - Leda, Semele, lo, sterbliche Frauen, die von Göttern heimgesucht worden waren und göttliche Kinder geboren hatten. Man glaubte auch, daß Plato, Pythagoras und Alexander der Große von jungfräulichen Müttern zur Welt gebracht worden seien. Es gab viele Beispiele in der Geschichte. Mary erfuhr, daß sie nicht allein war, und das gab ihr Kraft und Sicherheit.
Es kam genauso, wie Mike es vorausgesehen hatte. Kaum trat Mary ins Zimmer, da verliebte er sich noch einmal ganz von neuem in sie. Sie war so verändert. Das Umstandskleid betonte eher ihre neue Fülle, anstatt sie zu verbergen; ihr Gesicht war runder und weicher unter dem langen, glänzenden Haar, und ihre Augen waren wie Fenster, in die ein blauer Himmel hineinschaute. Mike schnürte es die Kehle zu. Er hätte Mary gern die Hand gegeben, aber seine Hände waren schweißnaß.
»Hallo«, sagte sie lächelnd in die Runde und setzte sich.
Jonas Wade vergeudete keine Zeit. Sobald Mary im Kreis der anderen Platz genommen hatte, öffnete er seine Aktentasche, entnahm ihr mehrere leere Blätter und hielt eine kurze Unterrichtsstunde über die Fortpflanzung beim Menschen.
Auf das Papier zeichnete er einen Kreis, der einen kleinen Kreis und einige Wellenlinien enthielt. »Das ist eine menschliche Eizelle. Diese Wellenlinien hier stellen die Chromosomen dar, insgesamt sechsundvierzig. Wenn das Ei beim Eisprung den. Eierstock verläßt, beginnt die Reifung. Die Eizelle teilt sich, die Chromosomen werden auseinandergezogen, so daß wir nun zwei Sätze von je dreiundzwanzig haben, und diese Hälfte der Eizelle « er zeichnete ein Oval und setzte ein X in die obere Hälfte -, »die man als zweites Polkörperchen bezeichnet, wird ausgestoßen. Das reifende Ei hat nun nur noch dreiundzwanzig Chromosomen und ist bereit, die anderen dreiundzwanzig aufzunehmen, die im Spermium enthalten sind. Wenn in diesem Stadium Geschlechtsverkehr stattfindet, dringt der Samenfaden in die Eizelle ein und bildet den männlichen Zellkern, der mit dem weiblichen, in dem die anderen dreiundzwanzig Chromosomen enthalten sind, verschmilzt. Es entsteht die Ursprungszelle des neuen Lebewesens. Durch die nun einsetzende Furchung, das heißt Teilung der Zelle, entsteht der Embryo.«
Er hielt inne und sah sich in der Runde um.
»Warum erzählen Sie uns das, Dr. Wade?« fragte Lucille.
»Zur Vorbereitung auf das, wozu ich jetzt kommen werde. Ich möchte sicher sein, daß wir alle eine gemeinsame Grundlage haben und daß es bei niemandem Zweifel gibt.« Jonas sah Ted an, der nickte. Sein Blick glitt weiter zu Nathan und Mike Holland, zu Mary und schließlich zu Pater Crispin, der aus seinem Missvergnügen kein Hehl machte.
»Ich möchte Ihnen allen ganz klarmachen«, fuhr Jonas fort, »wie es zu Marys Schwangerschaft gekommen ist.«
»Dr. Wade!« unterbrach Pater Crispin. »Sie werden doch nicht an dieser absurden Theorie festhalten wollen!«
»Sie ist keineswegs absurd, Pater, das werden Sie bald selbst sehen.«
»Was denn?« fragte Lucille. »Wovon spricht er?«
»Ich spreche von Parthenogenese, Mrs. McFarland.«
Nachdem Jonas seinen Zuhörern den Ausdruck erläutert hatte, berichtete er in klaren, verständlichen Worten von seinen Recherchen, seinen Gesprächen mit Bernie Schwartz und Dorothy Henderson, gab einen Überblick über die wissenschaftlichen Daten, die er gesammelt hatte, und beendete seinen Vortrag mit der erstaunlichen Schlußfolgerung, zu derer aufgrund seiner Untersuchungen gelangt
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