Bitteres Geheimnis
blieb. Panik stieg in ihm auf, und er kämpfte sie nieder. »Sind sie da wirklich sicher? Es ist noch früh. Die Trennung von Mutter und Kind könnte traumatische -«
»Ich muß der Familie McFarland recht geben«, ließ sich Pater Crispin vernehmen. »Mary ist gerade erst siebzehn. Was für eine Mutter könnte sie diesem Kind sein? Noch nicht einmal mit der Schule fertig. Das Kind hat es bei Adoptiveltern sicher besser.«
Jonas suchte krampfhaft nach Argumenten, aber es fiel ihn nur eines ein, und das konnte er nicht sagen: Daß die Freigabe des Kindes zur Adoption es ihm unmöglich machen würde, seinen Bericht fertigzustellen. Denn, um seine Theorie zu veröffentlichen, brauchte er eine genetische Untersuchung des Kindes und die Hautverpflanzung. Wenn das Kind weggegeben würde, machte das alle seine Pläne zunichte.
»Nun«, sagte er, während er seine Aktentasche schloß, »Sie haben ja noch Zeit, um sich das zu überlegen, Ich bin überzeugt, Sie werden Ihre Meinung ändern.« Er sah zu dem Mädchen hinunter, das reglos in seinem Sessel saß. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Mary sich von ihrem Kind wird trennen wollen.« Er schaute sie hoffnungsvoll an, aber sie reagierte überhaupt nicht. »Wie dem auch sei, in zwei Wochen werde ich Mary röntgen und den Schwangerschaftsverlauf beobachten.«
Sie traten alle gemeinsam hinaus in den glühendheißen Nachmittag, Nathan Holland froh und dankbar, daß die Last von seinen Schultern genommen war, und Mike noch immer verwirrt und verwundert über das, was er gehört hatte. Er wurde sich bewußt, daß er nicht fähig war, sich umzudrehen und Mary noch einmal anzusehen. Statt der heißen Liebe und der Sehnsucht, die er vor dem Gespräch noch empfunden hatte, fühlte er jetzt eine merkwürdige Scheu; und Neugier mischte sich mit einer Art schaudernder Ablehnung. Er fand Mary Ann McFarland plötzlich gar nicht mehr begehrenswert.
Pater Crispin ging im Zorn, und das aus zwei Gründen: einmal, weil alle Jonas Wade geglaubt hatten, und weil der Arzt offensichtlich mehr Einfluß besaß als er, ihr Priester. Ein weiteres Symptom ...
Als alle abgefahren waren und Mary in ihrem Zimmer verschwunden war, flüchtete sich Lucille in die tröstliche Umarmung ihres Mannes. Sie legte den. Kopf an seine Brust und sagte leise: »Oh, Ted, ich weiß nicht, ob ich erleichtert bin oder mehr Angst habe als vorher.«
15
Im Lampenschein saß Pater Crispin an seinem Schreibtisch im Pfarrhaus und arbeitete an der Predigt für den nächsten Morgen. Sie bereitete ihm Schwierigkeiten.
Viele seiner Gemeindemitglieder hatten in letzter Zeit ihrer Besorgnis und ihrem Unverständnis über die ökumenischen Bestrebungen des neuen Papstes Ausdruck gegeben. Die ultrakonservative Diözese Los Angeles nahm das Zusammentreten des zweiten Vatikanischen Konzils mit Mißtrauen zur Kenntnis und befürchtete umwälzende Veränderungen.. Pater Crispin hatte beschlossen, seiner Gemeinde mit der Sonntagspredigt die anstehenden Fragen zu erläutern, und bemühte sich jetzt beim Schreiben um eine sachliche und objektive Darstellung.
Aber er konnte sich nicht konzentrieren.
Er nahm das Glas mit dem Whisky, das neben seinem Schreibblock stand, und ging zum Fenster. Er zog den Vorhang auf und sah geistesabwesend auf den dunkel und verlassen liegenden Parkplatz hinaus.
Zum erstenmal seit vielen Jahren dachte Pater Crispin an seinen alten Traum, der ihn vor dreißig Jahren, als er noch auf dem Seminar gewesen war, so beflügelt hatte. Jung und idealistisch damals, war er fest entschlossen gewesen, in den Orden der Franziskaner einzutreten. Die Einfachheit, die Armut, die Brüderlichkeit mit allen Wesen Gottes, die dieser Orden praktizierte, hatten ihn so sehr angezogen, daß er kurzentschlossen um Aufnahme ersucht hatte. Aber da hatte sich seine Familie eingemischt, wohlhabender, alter Bostoner Adel. Seine Eltern waren entsetzt gewesen, daß ihr Sohn bereit war, sich mit einem solchen Leben in Bescheidenheit zu begnügen, anstatt nach dem Glanz der Bischofs-würde zu streben. Als Lionel erkannte, was er seinen Eltern, die ihn schon in vollem Ornat vor sich gesehen hatten, damit antun würde, wenn er an seinem Plan festhielt, hatte er seinen Traum aufgegeben.
Er wandte sich vom Fenster ab und trat wieder an seinen Schreibtisch.
Von dem jugendlichen Idealismus, dem heißen Wunsch, den Armen und Leidenden dieser Welt zu helfen, war nichts geblieben. Er saß hier als ein behäbiger, dickbäuchiger alternder
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