Bitteres Geheimnis
äußerst geringe Gefahr, daß Probleme auftreten können. Deshalb würde ich vorsichtshalber -«
»Probleme?« fragte Lucille. »Was für Probleme?«
»Ich will damit nur sagen, daß wir es hier mit einem Sonderfall zu tun haben, der besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Darum hätte ich gern Ihre Erlaubnis, vorsichtshalber eine bestimmte Untersuchung bei Ihrer Tochter vorzunehmen.«
»Was ist das für eine Untersuchung?« fragte Ted.
»Es handelt sich um eine Fruchtwasseruntersuchung. Dabei wird eine Probe des Fruchtwassers entnommen und mikroskopisch untersucht. Man macht diese Untersuchung vor allem bei Müttern mit einem negativen Rhesusfaktor, um festzustellen, ob das Kind durch die Antikörper der Mutter gefährdet ist. Wir können uns auf diese Weise die Chromosomenstruktur des Kindes ansehen, um uns zu vergewissern, daß seine Entwicklung einen normalen Verlauf nimmt.«
»Wie zuverlässig ist die Untersuchung?«
»Sie befindet sich augenblicklich noch im experimentellen Stadium, aber -«
Lucille schüttelte den Kopf. »Keine Experimente mit meiner Tochter. Sie hat genug durchgemacht.«
»Mrs. McFarland, die Fruchtwasseruntersuchung wird jedes Jahr bei Hunderten von Frauen durchgeführt «
»Ist sie mit Gefahren verbunden?«
»Ach, Gefahren gibt es bei jeder -«
.»Nein, Dr. Wade, eine solche Untersuchung erlaube ich nicht.«
Jonas Wade kämpfte. »Es ist zum Besten Ihrer Tochter, Mrs. McFarland, und zum Wohl des Kindes.«
Sie hielt die kalten blauen Augen auf ihn gerichtet. »Und wenn sich herausstellen sollte, daß das Kind geschädigt ist?«
Er starrte sie an.
»Dr. Wade«, schaltete sich Ted ein, »ich glaube, meine Frau will damit sagen, daß man in einem solchen Fall doch sowieso nichts unternehmen könnte. Warum dann also eine gefährliche Untersuchung? Ich meine, wenn sich herausstellen sollte, daß das Kind geschädigt ist, würde sich doch an ihrer Behandlung Marys nichts ändern, nicht wahr?«
Jonas ließ sich die Frage durch den Kopf gehen, nahm den abwehrenden Blick Lucilles zur Kenntnis und sagte: »Nein.«
»Dr. Wade -«
Alle Augen richteten sich auf Mike. Alle waren erstaunt, daß er sich in das Gespräch einmischte. Sein Gesicht war bedrückt. »Wie wird es aussehen, Dr. Wade?«
»Was meinst du?«
»Wie wird das Kind aussehen?«
»Oh.« Jonas war unbehaglich. Er fragte sich, was in dem Kopf des Jungen vorging. »Marys Chromosomen haben sich getrennt und sind dann wieder miteinander verschmolzen. Da kein Spermium beteiligt war, das neue Anlagen mitgebracht hätte, wird das Kind aussehen wie Mary.«
Mike drehte langsam den Kopf. Mit einem seltsamen Ausdruck in den grauen Augen sah er Mary an. »Wie eine Kopie, meinen Sie?«
»Ja ... Mary wird gewissermaßen sich selbst zur Welt bringen.« Jonas hörte wieder Dorothy Hendersons Stimme: Das sind keine Nachkommen von Primus; sie sind Primus.
Die sieben Menschen im sonnendurchfluteten Zimmer schwiegen, unsicher und verwirrt jeder von ihnen; bemüht, sich mit dem, was Jonas Wade ihnen mitgeteilt hatte, auseinanderzusetzen. Nur Mary saß in Ruhe und Gelassenheit, im Schutz eines inneren Friedens, der sie vor der kalten Realität abschirmte.
Pater Crispin focht den schwersten. Kampf aus. Im Gegensatz zu den anderen, die sich bemühten, Jonas Wades Theorie zu akzeptieren, wehrte er sich mit aller Kraft gegen sie.
»Sie sehen also«, sagte Jonas Wade schließlich, »Mary hat kein Unrecht begangen. Sie hat die Wahrheit gesagt.«
Ein Schimmer von Dankbarkeit glomm in Lucilles blauen Augen, aber sie brachte es noch immer nicht über sich, ihre Tochter anzusehen. Statt dessen richtete sie ihren Blick auf Ted und lächelte. Es war eine Erleichterung, Jonas Wades Theorie zu akzeptieren.
»Wenn das Kind geboren ist«, bemerkte Jonas, während er seine Unterlagen zusammenpackte, »wird es mir leichtfallen, das alles durch einige einfache diagnostische Untersuchungen und Tests zu bestätigen «
»Nein, Dr. Wade.«
»Diese Tests sind nicht gefährlich, Mrs. McFarland. Es bedarf lediglich einer Blutprobe, um eine Genuntersuchung durchzuführen, und einer kleinen Hautverpflanzung vom Säugling auf -«
»Das meinte ich nicht«, unterbrach Lucille und stand auf. »Wir behalten das Kind nicht.«
Jonas starrte sie verblüfft an.
»Wir haben das genau besprochen, Dr. Wade«, kam Ted seiner Frau zu Hilfe. »Wir denken, es ist für Mary das beste, wenn wir das Kind zur Adoption freigeben.«
Jonas sah Mary an, deren Gesicht völlig unbewegt
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