Bittersuess
kann nur nicht einordnen ob aus Angst oder aus Erschöpfung.
Meine Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt. Ich nehme alles sehr deutlich wahr: jeden der Schritte, die meine Begleiter machen, ich höre das leise Atmen des Mannes neben mir.
Der Fußboden ist so schmutzig, ich hoffe, dass ich nirgendwo reintrete, immer noch bin ich ja barfuss.
Der Kleine, der voran geht, öffnet eine Türe, wir sind in einem anderen Raum, auch hier brennt ein schwaches Licht. Das scheint der Eingangsbereich der Fabrikhalle gewesen zu sein, ich kann mehrere Türen sehen, die von diesem Raum hier abgehen.
Doch viel Zeit habe ich nicht, um mich umzuschauen, der kleine Dicke nimmt ein Tuch und verbindet mir die Augen. Mein Herz überschlägt sich vor Angst, ich zucke heftig zurück.
„Bitte“, der nette Entführer stöhnt genervt auf. „Muss das sein?“
„Ja!“, höre ich den Kleinen nur patzig sagen.
J etzt öffnet sich die Türe nach draußen, ich spüre einen Lufthauch. Es ist warm. Ein warmer Sommerabend.
‚Vielleicht der Letzte, den du mitbekommst’ , sagt eine traurige Stimme in mir.
„Ich trage Sie jetzt ein Stück, sonst verletzen Sie sich an den spitzen Steinen“, erklärt der ‚Nette’.
Ich schüttele den Kopf . Ich will nicht, dass er mich hochhebt, das wäre mir unangenehm. Ich bin ungewaschen und starre vor Schmutz, von meinem Geruch möchte ich mal gar nicht sprechen.
Dann kommt mir in den Sinn, wie egal mir das doch eigentlich sein könnte. Was schert es mich, ob ich den Kerl mit meinem Aussehen oder Geruch belästige? Ist ja seine Schuld, dass er mich ertragen muss.
Doch es ist nunmal so, ich kann mir nicht erklären, warum. Ein Rest von Weibchen ist halt wohl immer noch in mir.
Er hebt mich hoch und nimmt mich auf seine Arme. Es ist fast rührend, wie vorsichtig er ist. Da meine Hände auf dem Rücken gefesselt sind, schiebt er seinen Arm unter meinen durch.
Ich kann ihn riechen, es ist ein angenehmer Geruch. Mein Entführer scheint wohl ein bisschen eitel zu sein, denn dieses After-Shave ist mit Sicherheit kein billiges Wässerchen. Ich schnuppere weiter, ich kann es nicht anders nennen: Er riecht gut.
Wäre dies nicht alles so ernst, ich würde es fast genießen können, von ihm getragen zu werden.
Etwas wird geöffnet. „Hier rein“, sagt Kevin nur knapp.
„Du spinnst“, höre ich meinen ‚Netten’ sagen.
„Da rein, los!“, beharrt der Andere.
„Nein!“
Ich frage mich, was das wohl sein soll und ich spüre, wie wieder der Angstschweiß aus meinen Poren rinnt und ich zu zittern beginne. Ich kann das nicht kontrollieren.
„Es könnte sie jemand sehen“, mischt sich jetzt auch der Kleine ein.
Meiner scheint nachzugeben und ich werde in etwas hineingelegt. Ich kann Teppich fühlen, dann wird etwas über mir zugeschlagen.
Ein Kofferraum. Ich bin in einem Kofferraum.
3
Wieder spüre ich Tränen in mir aufsteigen, wo bringen sie mich denn hin? Ich zwinge mich nicht zu weinen, meine Nase muss auf jeden Fall frei bleiben, sonst kann ich nicht atmen.
Der Motor wird angelassen und der Wagen setzt sich in Bewegung. Wir fahren über holprige Wege und jede Menge Schlaglöcher. Ich werde unsanft durchgeschüttelt, die Blessuren an meinem Körper machen sich jetzt schmerzhaft bemerkbar.
Ich habe Angst, ich habe so eine verdammte Angst. Ich kann nichts sehen und ich kann kaum atmen. Ich bete innerlich, dass ich bewusstlos werde und ich nichts mehr mitbekomme, doch mein Körper tut mir den Gefallen nicht. Der Gestank des Auspuffs verursacht Übelkeit in mir, ich muss schlucken, ich darf mich auf keinen Fall übergeben, nicht, dass ich noch daran ersticke.
Andererseits: Ich fühle mich so leer, unglaublich leer. Ich spüre, dass es mir langsam schon egal wird, wohin sie mich bringen. Mit jeder Sekunde, die ich hier im Kofferraum liege, werde ich hoffnungsloser.
Das Atmen fällt mir immer schwerer, ich versuche hastig, mehr Luft in meine Lungen zu kriegen, doch für was eigentlich? Lohnt es sich noch zu kämpfen?
Ich habe überhaupt kein Zeitgefühl mehr. Keine Ahnung, wie lange wir schon fahren. Mal sind die Straßen glatter und das Auto beschleunigt, vielleicht eine Autobahn?
Ich ertappe mich dabei, wie ich hoffe, dass jemand mit voller Wucht auf den Wagen auffährt. Dann wäre alles in einem Bruchteil von Sekunden vorbei. Doch der Gefallen wird mich nicht gewährt.
Irgendwann fahren wir von der Autobahn oder was das auch gerade war, hinunter und der Weg wird immer holpriger. Ein
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