Bittersuess
nach. Das bedeutet doch, dass Nicolas in Sicherheit ist, oder?
„Das sind ja hervorragende Neuigkeiten“, mein Vater strahlt in die Runde. „Ich meine natürlich nicht damit, dass zwei Menschen tot sind, aber für uns ist es eine ungeheure Beruhigung, dass unsere Tochter jetzt in Sicherheit ist“, fügt er schnell hinterher.
„Ich kann mich erst freuen, wenn wirklich die Bestätigung da ist, dass es dieser Molina ist“, sagt Jonas.
„ Wir sind eigentlich zuversichtlich, dass er es ist“, antwortet Kommissar Roth.
„Das wäre eine große Erleichterung, nicht wahr, Stella?“, meine Mutter streichelt mir über die Locken.
„Äh ja“, ich nicke heftig, ich muss mich richtig zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen.
„Ich kann verstehen, dass das alles sehr verwirrend für Sie ist, Frau Reimann“, wendet sich Kommissar Wegner an mich. „Sowas braucht seine Zeit, bis man es verwunden hat.“
Ich lächele ihm dankbar zu.
Dann machen sich die Beamten bereit zum gehen. „Wenn wir die endgültige Bestätigung haben, melden wir uns wieder bei Ihnen“, verabschieden sie sich.
„Ich würde am liebsten eine Flasche Champagner öffnen“, seufzt mein Vater, als die beiden zur Türe hinaus sind. „Aber das gehört sich nicht, wenn zwei Menschen gestorben sind. Auch wenn es so widerwärtige Subjekte waren.“
„Du hast Recht. Aber froh bin ich auch“, meine Mutter amtet hörbar auf.
„Ich gehe mal nach oben“, ich mache mich auf wackligen Schritten Richtung Treppe auf.
„Ist alles in Ordnung, Schatz?“, höre ich meinen Vater fragen.
„Ja, alles okay. Ich muss das nur alles mal verdauen“, ich schaffe ein scheues Lächeln, dann gehe ich mühselig die Stufen hinauf. Es kostet mich eine ungeheure Kraftanstrengung, aber ich bin glücklich, als ich das Zimmer erreiche.
‚Es ist vorbei’ , jubiliert alles in mir . ‚Und Nicolas scheint noch nicht einmal in Verdacht geraten zu sein! Besser hätte das doch nicht laufen können!’
Ich lasse mich auf mein Bett plumpsen. Mein Herz klopft immer noch sehr schnell, ich bin aufgedreht, natürlich würde ich Nicolas am liebsten anrufen. Doch dann stocke ich.
‚Er war sein Bruder, Stella’ , eine mahnende Stimme verschafft sich laut Gehör. ‚Auch wenn du Joaquin gehasst hast – er war Nicolas Bruder…’
Ich schlucke heftig und schäme mich für meine Empfindungen von eben. Ich weiß nicht, wie nah sich die beiden standen, aber die Tatsache, dass er seinen Bruder nicht verraten hat, zeigt ja, dass sie sich schon irgendwie mochten.
„Es tut mir leid für dich“, flüstere ich mit heiserer Stimme. „Bist du sehr traurig?“
Wenn ich ihn doch nur sehen könnte! Aber vielleicht wäre er auch wütend auf mich. Irgendwie ist es ja auch so, dass sein Bruder wegen mir erschossen wurde.
Doch dann schimpfe ich mit mir selbst. Nein, solche Gedanken sollte ich nicht haben, ich kann nichts dafür, dass Joaquin tot ist. Ich darf mich nicht selbst mit so was fertigmachen, ich bin es eh schon genug.
Trotzdem bleibt ein kleiner Stachel in meinem Gewissen.
Ich hole mir wieder eine Tablette und schlafe traumlos bis zum nächsten Morgen. Ich fühle mich ein bisschen besser, es ist irgendwie nicht mehr alles so ausweglos. Und vielleicht, vielleicht, vielleicht kann ich Nicolas ja doch wieder sehen. Nicht jetzt sofort, dass ist mir noch zu riskant, wer weiß, ob die Polizei nicht doch noch eine andere Spur verfolgt, aber wenn ein bisschen Zeit vergangen ist. Zumindest ist wieder ein Funken Hoffnung in mir und das gibt mir Mut und die Kraft, durchzuhalten.
Ich bin beim Frühstück etwas gelöster und nicht mehr so bedrückt, auch meinen Eltern fällt das auf.
„Du bist froh, dass die Sache zu Ende ist, oder?“, fragt mein Vater mich.
„Ja, also wenn das wirklich stimm en sollte, das wäre schon beruhigend“, antworte ich ihm ehrlich.
„Geht uns genauso. Auch wenn niemand den Tod verdient hat, aber die beiden haben sich das selbst zuzuschreiben. Niemand wird gezwungen, solch widerwärtige Taten zu begehen. Es gibt immer noch einen anderen Weg – für jeden“, sagt er ernst und faltet seine Zeitung zusammen. „Sollen wir der Presse mitteilen, was geschehen ist?“, fragt er mich.
Mir fallen Nicolas Abschiedsworte an mich ein.
’ Und ich will bald wieder dein hübsches Gesicht in der Zeitung sehen, damit ich weiß, dass es dir gut geht.’
Es wäre eine Botschaft an ihn, dass ich lebe, dass ich okay bin. Doch es könnte auch schlecht
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