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BitterSueß

BitterSueß

Titel: BitterSueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Ippensen
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redete ich mich damit heraus, dass ich müde und abgespannt sei.
    Sie stieß mich trotzdem mit ihrem Ellbogen in die Rippen. »Hast du wenigstens endlich eine Lohnerhöhung verlangt?«
    »Nein«, murmelte ich und fügte hinzu, dass ich einfach noch nicht dazu gekommen sei.
    »Ach, du bist ein Weichei, Janet – DAS ist es«, murrte Alpha und wandte sich einer anderen Frau zu.
    Ich hatte erstmal so dies und das zu erledigen – wenn du Kassenfrau eines so chaotischen Unternehmens bist wie dieses Frauencafés, hört die Arbeit praktisch niemals auf.
    Das Ganze lenkte mich allerdings schön ab, ich war erleichtert, dass die Bilder des Erlebten (was WAR eigentlich schon groß passiert?!) allmählich verblassten und … Moment mal, stimmte das überhaupt? WAR ich erleichtert? Oder fehlte mir jetzt nicht etwas, das ich mir selbst durch die Alpha-Schere in meinem Kopf herausgeschnitten hatte?
    Rebellisch sah ich mich in dem schäbigen Ausschenkraum um. Er war und blieb schäbig, egal, was wir anstellten. Ein paar Kollektivfrauen hatten gelbe Kerzen und Strohblumen gespendet, aber trotz dieser aufwendigen Deko auf den Tischen blieb unser Ambiente trostlos.
    Die Atmosphäre kam mir schal und langweilig vor.
    Bis zu dem Moment, da SIE das Café betrat.
    Bis dahin hätte ich mir nie träumen lassen, dass solche Frauen überhaupt jemals in ein Etablissement wie das unsere kamen. Und gerade in letzter Zeit hatte die Vielfalt unter unseren Besucherinnen ja weiter abgenommen … wir sahen weder Punkerinnen noch Althippie-Frauen mehr, und ganz gewiss fand eine Bikerin wie diese nicht den Weg hierher.
    Denn für eine solche hielt ich die große, athletische Frau zunächst, die in teils schwarzer, teils brauner Lederkleidung und mit wallender rotbrauner Lockenmähne unser Café betrat und nach großer weiter Welt duftete. Eine andere Bezeichnung für diese Lady fiel mir nicht ein.
    Ich beobachtete sie, wie sie langsam auf die Theke zusteuerte, sich dabei gelassen nach allen Seiten umschaute, und wagte für mich die Hypothese, dass sie NICHT aus dem Seelengesundheitshaus kam.
    Von Conny, die gleichwohl auch Augen so groß wie Untertassen bekam, wurde sie dennoch freundlich begrüßt. Conny hatte an diesem Abend Thekendienst.
    »Hey, sei willkommen! Was möchtest du trinken und wie heißt du? Ich bin die Conny. Wir sind hier alle per Du.«
    Die Fremde stützte sich mit einem Ellbogen auf den Tresen, sah in den Raum hinein, streifte auch mich mit einem Blick, lächelte andeutungsweise – ein cooles, lässiges Lächeln – und schaute dann unserer Thekenfrau in die Augen.
    »Mein Name ist Murana.« Sie hatte einen leichten Akzent, slawisch, vermutete ich, aber ihr Deutsch war tadellos.
    In diesem Augenblick stupste mich Alpha wieder einmal an. Sagte, und das noch nicht einmal leise: »Ist die nicht widerlich? Boah, das ist ja voll abstoßend. Ich wette, die ist von der Sorte, die ihre ‚Freundinnen’ total unterdrückt und kleinhält, eine Art Macholesbe, also, das riech ich hundert Meter gegen den Wind.«
    Dies war selbst für Alphas Verhältnisse ungewöhnlich krass und aggressiv – welche Laus mochte ihr über die Leber gelaufen sein? Und doch entsprach das, was sie so ungeschminkt aussprach, den Gedanken der meisten Frauen im Frauencafé. Der meisten? Fast aller. Eine Lederlady wie Murana war hier bei den Hardcore-Weibernestlerinnen absolut unerwünscht. Galt als politisch inkorrekt. Frau würde ihr die kalte Schulter zeigen, sie gerade mal bedienen, das schon, aber mehr auch nicht. Frau würde über sie tuscheln oder sie auch frontal angehen. Ich sah es schon kommen. Und genau DAS fand ICH widerlich.
    Aber Alpha hatte ja recht: Ich war nicht nur ein Weichei (eins mit perversen sexuellen Phantasien noch dazu), sondern manchmal auch ziemlich feige. Adrenalin pulsierte durch mich hindurch, aber leider nicht genug davon. Ich hätte Alpha gern meine Meinung ins Gesicht geschleudert. Stattdessen murmelte ich nur etwas Unverständliches. Und verachtete mich selbst dafür.
    Plötzlich wurde mir bewusst, wie fanatisch und einseitig, ja EINÄUGIG die ganze Szene um das Weibernest herum war, wie starr die Einteilung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Es gab die guten Frauen, die einander halfen und solidarisch zusammenhielten gegen die bösen Männer … es gab die armen Opfer zumeist, oder auch die tapferen Heldinnen … allenfalls Dominas, die Männer wiederum auspeitschten und erniedrigten, passten in dieses Weltbild noch hinein, genau

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