BitterSueß
… aber die andere Seite nicht. Nie und nimmer. OHA. Ich erschrak über meine eigenen Gedanken und wollte die stoppen, sofort.
Denn das Weibernest war mir wichtig, war für mich eine Art Ersatzfamilie, die ich nicht verlieren wollte. Ich hatte keinerlei Ambitionen, hier zum Paria zu werden, bloß wegen ein paar neuen bizarren Ideen, die sich einfach so in meinen Kopf geschlichen hatten.
An diesem Abend war RAUCHFREIES CAFÉ angesagt, und so ging ich nach draußen, um eine zu qualmen. Ich hoffte, die Lulle würde mich auf andere Gedanken bringen. Illusorisch, natürlich. Drogen, ob legal oder nicht, halfen mir eigentlich nie bei so etwas.
Insgeheim schimpfte ich mich gerade eine dämliche Ziege, als die Ladentür vom Café quietschend aufging – verdammt, wir mussten auch mal wieder die Scharniere ölen! – und Murana sich zu mir gesellte.
Sie nickte mir zu, ein halbes Lächeln im Gesicht.
Aus der Nähe betrachtet wirkte ihr markantes Gesicht besonders attraktiv. Ich fühlte mich sofort auf dunkle Weise zu ihr hingezogen, viel stärker noch als vorhin im Innern des Cafés. Befangen schaute ich auf ihre kräftigen und dabei schlanken Hände.
»Hast du Feuer?«, fragte sie und steckte sich eine Fluppe ins Gesicht.
»Ja«, sagte ich leise.
Wir rauchten eine Weile schweigend, und … seltsamerweise war das Schweigen nicht unangenehm. Zwischen mir und Alpha schlich sich oft eine ungemütliche Kühle in die Stille, wenn wir einander nichts zu sagen hatten, und vor allem ich zermarterte mir dann regelmäßig das Hirn, was in der Freundin wohl vorginge und was ich wohl falsch gemacht hatte.
Dann äußerte Murana: »Du bist anders als die anderen … wie heißt du?«
»Janet«, antwortete ich heiser und fuhr mir mit der Zunge über die Lippen.
Es war ohne Zweifel ein erotischer Unterton in ihrer rauen, tiefen Stimme. Hitze breitete sich in meinem Schoß aus und auch auf meinen Wangen. Ich kam mir unglaublich naiv und sagenhaft unerfahren vor und musterte nur intensiv den Boden wie ein Schulmädchen, das vor der strengen Lehrerin steht.
Murana schien das nicht zu stören. »Du gefällst mir, Janet. Und: Du gehörst hier gar nicht hin, und das weißt du auch.«
Als ich verblüfft-erfreut aufschaute, lächelte sie mich freundlich an, trat ihre Kippe aus und ging wieder ins Café.
Wenn mir jemand auf diese Weise die volle Wahrheit mitten ins Gesicht sagte, konnte ich nie widerstehen.
Es stimmte.
Sie hatte verdammt recht.
9. November 2002
So! Gestern habe ich es also hinter mich gebracht. Ich habs geschafft, ich bin doch kein so feiges Weichei, habe mich mutig der Gehaltsverhandlung gestellt! Ich WAR erfolgreich. – Und doch bleibt ein schaler, fast bitterer Beigeschmack.
Meine erotische Konfusion aus dem Frauencafé hatte ich am Tag danach entschlossen im Kopfkissen zurückgelassen und führte mir mein Ziel klar vor Augen: die Gehaltserhöhung! Ein bisschen Sahne auf meinen Stundensatz, verdammt nochmal. Und nicht eigentlich, weil ich es brauchte, nein, ich fühlte mich reich genug mit meinen 30 Euro – es war wegen Alpha. Ich hatte so getan, als ob ich’s locker weggesteckt hätte, aber in Wirklichkeit nagte ihr verächtliches: ‚Ach, du bist ein Weichei’ ganz schön an mir.
Mit einem, wie ich hoffte, stählernen Blitzen in den Augen sprach ich also schon sehr früh bei meinem Chef vor, und siehe da, er meinte, in zehn Minuten hätte er wohl Zeit für mich. Ob ich in der Zwischenzeit Kaffee kochen könne. Klar konnte ich. War ja schließlich eine meiner Aufgaben als Sekretärin. Außerdem wollte ich mich auch gern zuvor mit einem aromatischen Muntermacher stärken.
Vom Kaffeeduft angelockt, erschien auch ACW, klein, flink, im messerscharf gebügelten silbergrauen Anzug, und er trug ein spitzbübisches Lächeln zur Schau.
An diesem Morgen hatte ich mich gegen seine umwerfende erotische Anziehung innerlich gewappnet und starrte ihn deshalb nur ausdruckslos an, als er meinte: »Sie haben mir doch gestern nicht etwa Unterlagen entwendet, Janet, oder?«
Sieh mal an, er nennt mich beim Vornamen, dachte ich. Nimmt sich Freiheiten heraus.
»Nein, Herr Wild«, antwortete ich kühl. Und das war die reine Wahrheit. In aller Frühe (noch nie war ich so früh, praktisch bei Morgengrauen, im Büro gewesen), hatte ich das Faktura-Blatt kopiert und das Original in den entsprechenden ACW-Ordner zurückappliziert.
Gewappnet hin oder her, als seine türkisblauen Augen tief in die meinen tauchten, spürte ich wieder
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