BitterSueß
ganz wind und weh.
Kurz vor Café-Schluss.
Die dürre Messinghaar-Frau hat auf unsere freundliche Begrüßung kaum reagiert und mit fast unhörbarer Stimme heißes Wasser verlangt. Als Sina, die Thekendienst hatte, sich vorbeugte und mit kräftiger Stimme nachfragte: »Was?«, zuckte unsere Gästin heftig zusammen und sah schon zur Tür, als wollte sie fliehen. Ich bin dann einfühlsam zu ihr hin und habe sie einfühlsam beruhigt und sie einfühlsam gebeten, sich doch zu setzen. Sie guckte mich nur feindselig an. Sie kam offenbar ganz frisch aus dem Seelengesundheitsinstitut.
»Ich bin die Janet«, sagte ich mit einem, wie ich hoffte, möglichst einfühlsamen Lächeln, und ich versuchte dabei, einen möglichst lockeren Ton anzuschlagen, »wir sind hier alle per du. Wie heißt’n du?«
»Teebeutel«, knurrte sie.
Im ersten Moment wollte ich losbrüllen vor Lachen, so saukomisch erschien mir die Situation, während ich gleichzeitig vor Mitleid zerfloss – hatten die Eltern dieser Frau, hatte die sich selbst TATSÄCHLICH einen so bescheuerten Namen gegeben? – doch im nächsten Moment erstarb das lachende Brodeln in meinem Hals, bevor es herauskonnte, was nur gut war, denn der Messingschopf hielt mir mit Grabesmiene einen Teebeutel hin, den die Beklagenswerte selber mitgebracht hatte. DESHALB hatte sie nach heißem Wasser verlangt.
Als die Frau abwehrend und argwöhnisch an einem Tisch saß, ging ich zur Theke und half Sina ein bisschen – ein Vorwand, um ein oder zwei Worte mit ihr zu wechseln.
»Wir tun ja, was wir können«, murmelte sie gedämpft, »aber es wird immer schwieriger. Wir bräuchten ein bisschen mehr Unterstützung, nur …«
»Ja, unser altes Problem«, seufzte ich, »willst du damit sagen, dass viele Gästinnen aus dem Institut ihre eigenen Teebeutel mitbringen?«
Sina nickte. »Ja. Sie glauben, dass wir möglicherweise den Tee vergiftet haben oder dass überhaupt alles, was sie nicht selbst kontrolliert haben, tödlich ist. Und die da ist noch harmlos. Warte, bis Elektra kommt.«
»Heißt sie wirklich so?«
»Natürlich nicht.«
Als ein junges Mädchen mit festen braunen Zöpfen erschien, vermutete ich auf den ersten Blick nicht, dass sie gestört sein könnte. Das einzige, was darauf hindeutete war, dass sie entschieden zu oft zwinkerte.
Sie setzte sich an den Tisch der Messinghaarfrau, und die beiden kannten sich offenbar. Da atmete ich erleichtert auf, weil ich dachte, nun würden die zwei sich wohler fühlen und sich etwas entspannter verhalten.
Zu früh gefreut.
Ich prüfte die Kassenbücher der letzten Tage und war gerade in ein paar knifflige Einträge vertieft, als mich ein schriller Schrei vom einzigen besetzten Tisch hochfahren ließ.
»DA!«, kreischte Elektra durchdringend, indem sie aufsprang, und zeigte auf die Wand.
Ihre »Gefährtin« stieß einen dumpfen Laut hervor und starrte gleichfalls zur Wand hin, wie hypnotisiert.
Ich sah von den beiden kranken Frauen zu Sina, die hilflos die Schultern hob.
»Aus der Steckdose! Stimmen! Da kommen Stimmen aus der Steckdose!«, schrillte Elektra weiterhin, und sie war überhaupt nicht zu beruhigen und auch nicht davon abzubringen.
Ich kam am Ende auf den glorreichen Gedanken, die bewusste leere, vorstehende Dreier-Steckdose, die auf das bedauernswerte Mädchen offenbar extrem verstörend wirkte (die anderen, die auch Stecker in sich hatten, schienen nicht so schlimm für sie zu sein) mit einem chinesischen Wandschirm zu verdecken. Daraufhin setzte sie sich wieder und schenkte mir sogar ein verlorenes, mattes Lächeln.
Ich hätte – trotz meiner Befangenheit – das Mädchen mit den brünetten Zöpfen am liebsten in den Arm genommen.
Einen nennenswerten Umsatz machten wir mit Elektra allerdings auch nicht. Ich meine, sie bestellte ein stilles Mineralwasser und eine Portion Erdnüsse, und das war alles, für den gesamten Abend.
Wenigstens kann ich gleich den Laden dichtmachen. Bin jetzt allein hier und warte die letzten Minuten, ein fast schon warmes Bier in meiner Hand, die Kassenbücher vor mir auf dem Tisch, aber ich habe nur wenig Licht an, so dass ich nun die Zahlen und Buchstaben kaum mehr erkennen kann.
Alpha wollte noch vorbeikommen. Ich recke und strecke mich, gähne, dass mein Kiefer knackt – plötzlich geht die Tür, und das ist nicht Alpha, die würde über den Hof kommen, schließlich hat sie einen Schlüssel zum Hintereingang.
Es ist Murana.
Ich bin zu Hause und ringe noch immer um Fassung. Bestimmt
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