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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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2003 zu der nach dem Militär finanziell am besten ausgestatteten Behörde der türkischen Republik. Jährlich erhielt sie mehr Geld von der Regierung – 2005 wurde der Etat um 15,3 Prozent aufgestockt, 2006 um mehr als 16 Prozent und 2007 um fantastische 25,2 Prozent. Nach eigenen Angaben hatte die Diyanet im Jahr 2007 einen Etat von 1,6 Milliarden YTL , das sind etwa 950 Millionen Euro, zur Verfügung. 8
› Hinweis Man kann also davon ausgehen, dass sie aktuell über eine Milliarde Euro verfügt. Was macht sie mit dem Geld? Sie beschäftigt über 88.000 Beamte, Vorbeter, Lehrer – und hat damit mehr Beamte, als es Hochschullehrer in der Türkei gibt. Sie unterhält mehr als 78.000 Moscheen und richtet jährlich fast 8000 Korankurse aus mit insgesamt über 180.000 Schülern.
    Der Präsident
    Der Behörde steht ein Präsident vor, zurzeit ist es Ali Bardakoglu, ein Islamrechtler. Er ist Beamter des türkischen Staates. Die internationale Öffentlichkeit lernte ihn kennen, als er 2006 bei dem Türkei-Besuch von Papst Benedikt XVI . im vollen Ornat eines islamischen Obermufti in der Blauen Moschee den Islam repräsentierte. Bardakoglu war es auch, der kurz zuvor als erster Muslimvertreter auf die Rede Benedikts in Regensburg antwortete, in der das Oberhaupt der katholischen Kirche den byzantinischen Kaiser Manuel II. zitiert hatte: »Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.« Bardakoglu verurteilte Benedikts Äußerungen als »feindselig und provozierend« – und verkündete, in der islamischen Geschichte gebe es kein Beispiel, dass der Islam Gewalt als legitimes Mittel akzeptiere, eine in Kenntnis der islamischen Geschichte abenteuerliche Aussage.
    Von vielen wird der gegenwärtige Präsident der Diyanet als liberaler Geist geachtet, als moderierender, weiser Gelehrter, so wie er sich selbst auch gern darstellt. Seine Äußerungen in einem Interview zu seinem Amtsantritt im Mai 2004 dürften damit nur schwerlich in Einklang zu bringen sein. Auf die Frage, ob man ihn als »Reformer« bezeichnen könne, antwortete er: »Ich habe niemals für die Modernisierung der Religion gesprochen. Es steht außerhalb jeder Erörterung, dass das, was im Koran steht, gilt. Das ist unsere Botschaft, der Islam erlaubt keine Reform und ist für Reformen nicht offen.« 9
› Hinweis Darin ist er sich mit seinem Ministerpräsidenten einig, der feststellte: »Unsere Religion ist ohne Fehler.« Was im Namen dieser Religion an Gewalttaten verübt wird, ist »nicht im Sinne unserer Religion«.
    Mit solchen Erklärungen wird die Religion von jeglicher gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung freigesprochen. Eine Intervention des »Präsidiums für religiöse Angelegenheiten« erübrigt sich nach Meinung von Bardokoglu, denn Menschen, so sagt er, »können unter der Voraussetzung, dass sie es auf der Basis der von allen Muslimen in der Welt akzeptierten Prinzipien tun, ihre unterschiedlichen Interpretationen haben. Das ist eine Sache der persönlichen Freiheit.« 10
› Hinweis
    Die Aufgaben
    Ich habe mich bei der »Präsidentschaft der Abteilung für Auslandsbeziehungen« angemeldet und sitze vor dem Schreibtisch des Büroleiters. Der Chef der Abteilung, heißt es, sei noch unterwegs und lasse sich entschuldigen. Der Beamte notiert freundlich meinen Namen und versucht zu ergründen, was ich will. Direkte Fragen, wie man sie in Deutschland Vertretern von Behörden stellen kann, würden bei türkischen Beamten auf Unverständnis, ja auf Abwehr stoßen. Sie wollen zunächst einmal herausbekommen, ob man zum »Wir« gehört, ob man eine »Schwester« ist oder eine Ungläubige.
    Ich bemühe mich deshalb, meinen Fragen einen eher allgemeinen Charakter zu geben, will wissen, wie die Behörde organisiert ist, welche Aufgaben sie hat und warum so viele Beamte für sie tätig sind. Hier werde, erläutert mir mein Gegenüber, der Druck des Koran kontrolliert, das Präsidium sei für die Errechnung der Gebetszeiten und für rituelle Fragen zuständig, ferner gebe es eine Bildungsabteilung, die bereits erwähnte Abteilung für die Pilgerfahrt, für Publikationen, Finanzen, Pressearbeit usw. Die Tür seines Büros steht während des ganzen Gesprächs offen, und alle Vorbeigehenden schauen interessiert herein, mit welcher Frau sich der Kollege da so lange unterhält.
    Ich komme auf die

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