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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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Endlich sind die ersten Reisenden zu sehen, Männer in langen weißen Gewändern, mit Strickkäppi auf dem Kopf, Frauen im schwarzem Tschador an ihrer Seite, die die Gepäckwagen voll mit Koffern, Hamamschals, Gebetsteppichen, Gebetskopftüchern und Plastikkanistern mit heiligem Wasser vor sich herschieben.
    Auch meine Mutter zeigte mir vor einiger Zeit ein »heiliges Gebetstuch« aus Mekka, das sie von ihrer mittlerweile sehr frommen Freundin geschenkt bekommen hatte. Seit ihrer Pilgerfahrt nach Mekka, die von einer muslimischen Organisation, der Milli Görüs aus Hannover, organisiert wurde und die sie sogar ohne ihren Mann unternommen hat, wird sie von ihren muslimischen Schwestern nicht mehr als Hanim , als Frau, sondern als Haci Ha nim, angesprochen – wie die große Schwester meiner Tante in Ankara. Sie hat alle Bekannten in der Stadt mit heiligen Gebetsteppichen und Kopftüchern versorgt. Das Geld für die Reise, ungefähr 4000 Euro, hatte sie sich von ihrem Geld als Putzfrau und von der Sozialhilfe zusammengespart.
    Die Organisation der Hadsch ist ein wichtiges Instrument zur Missionierung der türkischen Bevölkerung geworden. Selbst der Empfang der Verwandten und Bekannten am Flughafen, den ich in Istanbul bestaunen konnte, ist keine Privatangelegenheit. Er ist vielmehr Teil der umfangreichen und von den Imamen in den Moscheen durchgeführten »Mevlüt-Programme«, den sogenannten Seelenmessen, die eigentlich zur Geburt Mohammeds, jetzt aber auch zur Pilgerfahrt zelebriert werden. »Die Mevlüt-Programme«, schreibt der für die Wallfahrt verantwortliche Beamte Dr. Ömer Yilmaz in der von der Religionsbehörde herausgegebenen Zeitschrift »Diyanet«, »die vor der Abfahrt und nach der Rückkehr veranstaltet werden, die Zeremonie des Verabschiedens und Empfangens, die Tränen der Zurückgebliebenen, die Grüße zeigen, welche Leidenschaft unsere Menschen für die Hadsch empfinden und wie viel Liebe sie unserem Propheten erweisen.« 6
› Hinweis
    Der Atatürk Airport in Istanbul ist inzwischen sowieso fest in muslimischer Hand. Nicht nur die vielen Pilger, die von hier aus täglich nach Mekka und Medina reisen und für die eigens Gebets- und Waschräume in der Flughafenhalle eingerichtet wurden, auch das Wartungspersonal der Turkish Airlines scheint der islamischen Leitkultur zu folgen, wie die Zeitung »Hürriyet« 2006 berichtet. 7
› Hinweis Um die Mitarbeiter einer technischen Wartungstruppe zu motivieren, versprach der Chef, sobald die Arbeit an elf kleineren Maschinen abgeschlossen sei, ein Kamel zu opfern. Als die Maschinen gewartet waren, wurde das Tier auf das Flugfeld geführt, an einen Kran gebunden und geschächtet. Drei Tage brauchten die Männer, um das 900 Kilogramm schwere Kamel zu häuten und an die Mitarbeiter zu verteilen. Ich kann nur hoffen, dass das Flugpersonal der Turkish Airlines während des Ramadan ausreichend Nahrung und Flüssigkeit zu sich nimmt, damit nicht plötzlich ein Pilot – wie vor einiger Zeit der fastende Ministerpräsident Erdogan – vor Schwäche zusammenbricht.

Das Präsidium für religiöse Angelegenheiten
    In Ankara gelandet, fahre ich zum Sitz der Diyanet. Ich will mir ein Bild machen von ihren Aufgaben, ihrem Selbstverständnis und von dem Einfluss, den sie auf die türkisch-muslimische Community in Deutschland hat. Das vor acht Jahren an einer der vielen Stadtautobahnen von Ankara errichtete Dienstgebäude des »Präsidiums für religiöse Angelegenheiten« sieht aus wie das Verwaltungsgebäude einer Versicherung. In der Zentrale sind etwa 1000 Beamte beschäftigt, nach meinem Eindruck sind es ausschließlich Männer, selbst die Teekellner und das Reinigungs- und Küchenpersonal. Die einzige Frau, der ich begegne, ist nicht bei der Diyanet angestellt, sondern vom Kultusministerium beauftragt, in der Bibliothek alte Schriften zu restaurieren.
    Die Behörde war nach Gründung der Republik und der Abschaffung des Kalifats im Jahr 1924 faktisch die Nachfolgeinstitution des Scheichülislam, des obersten Rechtsinstituts des Osmanischen Reichs.
    Das Gesetz Nr. 429 vom 3. März 1924 sollte die Kontrolle des Staates über die Religion gewährleisten – die zuständige »Aufsichtsbehörde« Diyanet sollte »über die Lehre der islamischen Religion und ihren Kultus entscheiden, die diesbezüglichen Amtsgeschäfte versehen und religiöse Einrichtungen führen«.
    Mit den steigenden finanziellen Zuwendungen durch die AKP – Regierung entwickelte sich das Amt seit

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