Bittersüße Heimat.
Tausende und aus der Türkei Hunderttausende nach Mekka . Das »Präsidium für religiöse Angelegenheiten« versteht es , die Hadsch als Instrument der Missionierung zu nutzen . Über diese staatliche Behörde in einem – laut Verfassung – laizistischen Staat wollte ich mehr wissen .
Als ich beim Zwischenstopp in Istanbul auf dem Flughafen ankomme und mit meinem Trolley langsam durch die automatische Tür schreite, glaube ich meinen Augen nicht zu trauen: Bin ich in Saudi-Arabien gelandet? Vor mir stehen, in Reih und Glied und nach Geschlechtern getrennt, Frauen im schwarzen Tschador, mit langen Mänteln und dem unvermeidlichen Kopftuch, Männer inneuestem Islam-Look mit schalvar, Pluderhose, und langem weißen Hemd. Wie aus einer anderen Welt stehen sie da und warten.
Irritiert frage ich eine junge Frau mit Kopftuch, ob die vielen Menschen auf einen Popstar oder einen Heiligen warten. »Ich warte auf meine Mutter«, antwortet sie knapp. »Ist sie berühmt?«, frage ich scherzend. »Nein, sie kommt von der Hadsch.« »Aber es ist doch noch kein heiliger Monat«, gebe ich erstaunt zurück, »und gar keine Zeit für die Wallfahrt.« »Es ist immer Hadschzeit«, sagt sie verächtlich, »Sie müssen nur wollen.«
»Im Glauben sind die Muslime unschlagbar«
Da mein Anschlussflug nach Ankara erst in drei Stunden geht, stelle ich mich zu der Gruppe der Männer und lausche, ich bin neugierig, wie sie sich die Zeit beim Warten vertreiben.
»Habt ihr gehört, was sie mit Ramazan gemacht haben?«, fragt einer in die Runde. »Er hat die Stelle in der Fabrik nicht bekommen, weil er ein anständiger Muslim ist, einen Bart trägt und sittlich gekleidet zur Arbeit erscheinen wollte. Und das in unserem angeblich muslimischen Land. Man müsste endlich dafür sorgen, dass alle Ungläubigen aus diesem Land verschwinden. Wer nicht Allahs Gesetze einhalten will, hat hier nichts verloren. Aber da können wir lange auf unseren Bruder Erdogan warten. Dieser Feigling, der will uns doch nur hinters Licht führen mit seiner Predigt, wir seien nun ein modernes Land und hätten endlich Religionsfreiheit.«
Ich mische mich ein und frage nach, ob der muslimische Bruder die Stelle tatsächlich nicht bekommen habe, weil er religiös sei. »Ganz bestimmt war es so«, sagt der Erdogan-Kritiker und erzählt dann von seiner Schwester, die in Nordrhein-Westfalen lebe und sich als strenggläubige Muslima mit Kopftuch und langem Mantel an einer Grundschule beworben habe. Auch eine strenggläubige Katholikin und eine Atheistin seien unter den Bewerberinnen gewesen. »Nun frage ich Sie, wen, glauben Sie, hat die Schule genommen?« »Die Katholikin!« »Nein, die Muslima, meine Schwester, haben sie genommen. Weil Deutschland ein modernes Land ist, in dem es Religionsfreiheit gibt. Sie wollten eine wirklich Gläubige, und selbst die Deutschen wissen, im Glauben sind die Muslime unschlagbar.«
»Sind Sie auch Lehrer?«, frage ich. »Ja«, sagt er, »Religionslehrer in der Imamhatip , der Koranschule, im Stadtteil Gaziosman.«
»Sie sehen so aus, als wollten Sie nach Europa«, wendet sich sein Begleiter nun an mich. »Erzählen Sie doch Ihren Herren Politikern, was hier los ist. Wir brauchen keine Almosen. Wir wollen von ihnen in Ruhe gelassen werden. Die Europäer und die Amerikaner – das sind die Schlimmsten – sollen aus unserem Land verschwinden. Wir wollen selbst bestimmen, wie wir leben wollen. Wir Muslime haben das immer schon so gehalten. Wir wären schon ganz woanders, wenn wir mehr auf unseren Gott und nicht auf die Europäer gehört hätten.«
Ich frage nach den im April 2007 in Malatya ermordeten Christen, wer ihrer Meinung nach für die Morde verantwortlich sei. »Unsere muslimischen Brüder jedenfalls nicht! Wenn ein Muslim einen Muslim umbringt, dann ist das so, als hätte er eine Million umgebracht – so sagt es der Islam. Richten kann nur Allah. Wenn die Zeit gekommen ist, dann nimmt er uns zu sich. Das waren doch Amerikaner, die kaufen unsere jungen Leute, bezahlen sie üppig und lassen morden, um uns in der Welt schlechtzumachen.«
Plötzlich geht ein Raunen durch die Menge, die Männer recken die Hälse, und alle stürzen Richtung Absperrung. Mehrere Maschinen aus Dschidda (Medina) sind schon vor fast einer Stunde gelandet, jetzt scheinen die ersten Pilger durch die Kontrolle zu kommen. »Sie werden ja regelrecht gefilzt!«, empört sich ein Wartender. »Welch eine Schande! Sie wühlen in den heiligen Andenken herum.«
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