Bittersüße Heimat.
das Kopftuch nun auch an Universitäten zulässt. Einige Wochen später wurde das Gesetz vom Verfassungsgericht wieder gekippt.
Hayrünnisa Gül ist schon vor Jahren für das »Recht auf das Kopftuch« sogar bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gegangen. Sie zog die Klage 2002 allerdings zurück, um die außenpolitische Karriere ihres Mannes nicht zu belasten. Inzwischen geht die Gattin des Staatspräsidenten aber modisch in die Offensive. Sie gab bei dem türkischstämmigen Designer Atil Kutoglu in Wien eine »elegante moderne Garderobe« mit »modischem Kopftuch« in Auftrag. So soll das bisher von den aufgeklärten Städtern als bäuerlich und rückständig verlachte und von den Islamisten als gottesfürchtig propagierte Kopftuch salonfähig werden.
Westliche Intellektuelle mahnen gern zur Gelassenheit gegenüber solchen Kleiderfragen. Daran würde weder bei uns noch in der Türkei die Demokratie zugrunde gehen. Ich teile diese Meinung nicht, denn das Kopftuch ist die voranflatternde Fahne einer ganzen Ideologie, der Ausdruck eines kollektivistischen und patriarchalischen Gesellschaftsbildes. Während im Namen der Freiheit von den Vertretern des politischen Islam für das Kopftuch gekämpft wird, ist es im Osten der Türkei jungen Frauen kaum noch möglich, ohne Kopftuch auf die Straße zu gehen. Weder ein neuer Verfassungsparagraf noch die Vernunft wird die Frauen vor den selbsternannten »Islamwächtern« schützen. Durch die mit dem türban öffentlich dokumentierte Geschlechtertrennung im höchsten Staatsamt wird die Unterordnung der Frauen im Alltag wieder salonfähig. Hayrünnisa Gül repräsentiert dieses konservativ-islamische Frauen- und Gesellschaftsbild. Sie ist das politische Konstrukt ihres Mannes.
Die fliegenden Besen
Erst mühsam lernen die säkularen türkischen Frauen, dass sie sich ihre Rechte selbst erstreiten müssen. 1986 demonstrierten sie für die Einhaltung der Menschenrechte und gegen Diskriminierung, 1987 protestierten 3000 von ihnen, als ein Richter sich weigerte, eine schwangere Frau von ihrem schlagenden Ehemann zu scheiden. Seine Begründung: »Der Rücken der Frau soll nicht ohne Stock [für Prügel und Schläge], der Bauch nicht ohne Kind verbleiben.« Frauenorganisationen wie »Die fliegenden Besen« versuchen dagegen vorzugehen.
In einer kleinen, ruhigen Straße in einem der vornehmeren Wohnviertel von Ankaras Innenstadt liegt das Büro der bekannten Frauenorganisation »Die fliegenden Besen«, Ucan Süpürge . Gegründet wurde sie 1997 von Frauen aus der bürgerlich-kemalistischen Schicht, die in der Medienbranche oder bei den Gewerkschaften tätig waren. Die Organisation ist unabhängig, sie gehört keiner politischen Bewegung oder Partei an und finanziert sich durch Spenden und, zum größeren Teil, durch Mittel der Europäischen Union, die mit »Empowerment«-Projekten Frauen ermutigen will, selbst aktiv zu werden.
Im Büro treffe ich ein Dutzend schick gekleideter Frauen an, die gerade damit beschäftigt sind, das jährlich stattfindende Frauen-Filmfestival mit Beiträgen vieler internationaler Filmemacherinnen zu organisieren. Diesmal heißt das Thema »Baby-Bräute«. Überall werden Programmhefte eingetütet, wird telefoniert und diskutiert. Die Frauen sehen nicht anders aus als Frauen, die man in Deutschland auf einer Vernissage treffen könnte oder bei einer Diskussion »Kind – ja oder nein« in einer Kneipe mit einem Kölsch in der Hand. Die Vorsitzende Halime Güner stellt mich ihren Mitarbeiterinnen vor und muss dann zu einem Interviewtermin sausen. »Das Interesse der Öffentlichkeit an dem Festival ist groß«, erklärt sie.
Die »fliegenden Besen« sind erfolgreich – kaum eine Politiker- oder Journalistendelegation, die nicht auch den Frauen von den »fliegenden Besen« ihre Aufwartung macht. Die Organisation sammelt Berichte über Frauen aus aller Welt, informiert über Kampagnen und Gerichtsurteile gegen Frauen, berichtet über Kunst und Literatur. Sie will weiblicher Gegenpol in einem »Männerland« sein, um den Frauen eine Stimme zu geben.
Dass die »fliegenden Besen« – obwohl sie sich selbst durchaus als eine feministische Organisation verstehen – auch gern mit Männern zusammenarbeiten, dürfte sie von deutschen Feministinnen vielleicht doch unterscheiden, mutmaßt eine meiner Gesprächspartnerinnen. Jeder, der für Fraueninteressen arbeite, seiein Feminist – so sähen sie das. Jetzt verstehe ich, warum
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