Bittersüße Heimat.
in den islamischen Ländern auch der Prophet Mohammed als »Feminist« bezeichnet wird – ihm wird ja auch nachgesagt, er habe die Situation der Frauen verbessert. Zum Abschied packt sie mir einen schwarzen Leinenbeutel mit Infomaterial ein und schenkt mir einen Button, auf dem der Spruch steht: »Eine Feministin sieht aus wie ich.« Das gefällt mir. Und dann eile auch ich zum Festival.
Alleinerziehend
Auf einer Podiumsveranstaltung, deren Besuch mir besonders ans Herz gelegt wurde, wird die Frage diskutiert, wie sich die türkische Frau heute als Mutter sieht. Dies sei das derzeit aktuelle Thema in den Auseinandersetzungen innerhalb der türkischen Feministinnen, war mir gesagt worden. Auf dem Podium im Kino »Metropol« sitzen die Theaterdramaturgin Sündüz Hasar und die Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes, Yasar Seyman. Beide Frauen haben einen erwachsenen Sohn, beide sind berufstätig, haben relativ spät ihr Kind bekommen und es allein erzogen.
Ich höre die mir nur allzu bekannten Sorgen und Nöte alleinerziehender berufstätiger Mütter an. Die Dramaturgin erzählt, dass sie immer darauf geachtet habe, dass ihr Sohn nie die Schule schwänzt oder vernachlässigt, schließlich koste seine Privatschule 17.000 Dollar im Jahr. Beide Frauen beklagen, dass sie als alleinerziehende Mütter unter ständigem Rechtfertigungsdruck stünden. Bei der Diskussion mit dem Publikum meldet sich eine zierliche Frau, Mitte fünfzig, von der Moderatorin als Vorsitzende des Frauendachverbandes und als Psychologin vorgestellt, zu Wort. Sie spricht ein sehr akzentuiertes Hochtürkisch und fragt, ob den beiden Damen eigentlich bewusst sei, dass Söhne, die nur mit ihren Müttern aufwüchsen, später oft homosexuell würden? Wenn der männliche Part in der Erziehung der Jungen fehle, komme es oft zu solchen Abnormitäten. Sie halte Frauen für egoistisch, die Jungen allein aufziehen würden. Anhaltende Buhrufe im Publikum.
Die Dramaturgin, sichtlich genervt, antwortet mit einer kleinen Geschichte: »Als ich eines Tages hinter dem Bett meines damals elfjährigen Sohnes einen Ball hervorholen wollte, entdeckte ich dabei plötzlich versteckte Pornohefte. Entsetzt und mit hochrotemKopf rief ich meine Freundin an und bat um Rat. Sie sagte ganz kühl, ich solle doch froh sein, dass er offensichtlich nicht schwul sei.«
Eine ältere Dame aus dem Publikum erzählt von ihrem Sohn, den sie sehr frei und allein erzogen habe. Sie lebten beide in Deutschland. Ihr Sohn habe sich nach der Schule in eine Griechin verliebt, sei inzwischen mit ihr verheiratet und Offizier bei der deutschen Bundeswehr. Sie hätten nur noch sporadisch Kontakt, er würde selbstbestimmt seinen eigenen Weg gehen. Die Frauen neben mir sind bestürzt, im Saal herrscht betretenes Schweigen. Meine Nachbarin flüstert ihrer Begleiterin zu: »Die scheint verrückt zu sein, sie hätte dringend einen Mann im Haus gebraucht!« Ich weiß nicht, was die Frauen schlimmer finden – dass der Sohn eine griechische Frau hat, dass er zum deutschen Militär gegangen ist oder dass er kaum noch Kontakt zu seiner Mutter hat.
Über die Situation der Frauen in der Türkei erfährt man auf dieser Veranstaltung kaum etwas. Stattdessen wird am Abend das filmische Selbstporträt einer Amerikanerin über ihr lesbisches Coming-out gezeigt. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich die türkischen Frauen mit diesem Festival bestätigen wollen, dass sie weltoffen und auf »Augenhöhe« mit den Feministinnen der westlichen Welt sind.
Das frühe Heiraten
Als ich mich im Internet genauer über die Arbeit der »fliegenden Besen« informiere, bietet sich mir ein anderes Bild. Die Organisation berichtet nicht nur über kulturelle Themen, sondern veröffentlicht im Netz beispielsweise auch eine vom deutschen Außenministerium finanzierte Untersuchung über »Frühe Heiraten« in der Türkei. Bei der Lektüre erfahre ich, was auf dem Festival leider kein Thema war. Etwa 200 Frauen in zwei mittelgroßen Städten in der Nähe von Ankara, in Yozgat und Kirikkale, wurden befragt. Die Ergebnisse sind sehr aufschlussreich.
Acht Prozent von ihnen wurden bereits zwischen ihrem 13. und 14. Lebensjahr verheiratet, 34,5 Prozent mit 15 oder 16. Bis zum 18. Lebensjahr waren fast alle Mädchen verheiratet, obwohl laut Gesetz eine Hochzeit überhaupt erst in diesem Alter erlaubtist. In den meisten Fällen wurden sogenannte Imam-Ehen geschlossen, die später, wenn nötig, auf dem Standesamt legalisiert
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