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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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der Türkei.«

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Freiheitsberaubung
    Die vielen radikalen Reformen von Atatürk ermöglichten Verände rungen , auch für die Frauen . Aber da die Freiheit nur wie ein neues Kleid über die alte Tracht gezogen wurde , blieb sie Kostüm . Auch die Gründer der Republik , allen Beteuerungen zum Trotz , änderten an der Vorherrschaft der Männer über die Frauen nichts grundsätz lich . Was das für die Frauen bedeutet , zeigt sich besonders extrem in Zentral- und Ostanatolien . Die Demokratie ist dort eine Fremde ge blieben . Ich bin zu den Frauen nach Malatya , Diyarbakir , Batman , Mardin , Midyat , Urfa und Gaziantep gefahren . Ich wollte wissen , wie ihr Leben aussieht .
    Der Ort , in dem die erste Geschichte spielt , liegt inmitten eines hauptsächlich von alevitischen Kurden bewohnten Gebiets in den Bergen Südostanatoliens . Ich nenne den Ort K . und habe auch die Namen der beteiligten Personen verändert , weil der Fall auch heute , Monate später , noch nicht abgeschlossen ist . Die Beteiligten verstecken sich , die Täter sind au f freiem Fuß , und es ist nicht abzu sehen , wie die Sache ausgehen wird . Es ist eine Geschichte , die von der Macht der Familie handelt , von archaischen Traditionen , die stärker sind als die Gesetze aus Ankara . Aber anders als an vielen anderen Orten tra f ich hier au f Polizisten , die willens waren , diese Gesetze dennoch durchzusetzen . Die Geschichte von Fatma , einer jungen Kurdin mit deutschem Pass , die von ihrer Familie festgehal ten wurde , ging – vorläufig – anders aus als viele andere , weil eine deutsche Sozialarbeiterin hartnäckig ihren Spuren folgte .
    Der Winter im Jahr 2008 will in der Türkei gar nicht enden. Ich bin in Ankara, und es ist bitterkalt. Bis zu 20 Grad Frost und meterhoher Schnee bestimmen seit Wochen das Leben in der Stadt, die noch einige Monate zuvor unter unerträglicher Hitze und Wassermangel gelitten hatte. Die extremen Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter, manchmal bis zu 60 Grad, machen die Menschen mürbe. Da tröstet nur die Aussicht, dass die Schneeschmelze in diesem Jahr die Wasserreservoire wieder auffüllen wird. Schon an »normalen« Tagen muss man sich in Ankara sehr genau überlegen, wo man hinwill und wie man sein Ziel erreicht – im Winter droht daraus eine Tagesreise zu werden. Der Schnee chaotisiert die zu einem Moloch ausufernde Stadt noch zusätzlich; Anfahrtswege von zwei Stunden, um zur Arbeit zu kommen, sind nicht unüblich.
    Von hier aus will ich in den nächsten Tagen mit Peter nach Zentralanatolien fahren, um ihm endlich einmal Pinarbashe zu zeigen. Ich stehe gerade an einer Bushaltestelle, als mich sein Anruf aus Deutschland erreicht. Schon vor meiner Abreise hatte mich eine Sozialarbeiterin aus einem deutschen Frauenhaus um Hilfe gebeten, weil eine ihrer Bewohnerinnen nicht aus dem Türkei-Urlaub zurückgekehrt sei. »Da wird eine junge Frau von ihrer Familie festgehalten«, sagt Peter. »Wenn wir ihr helfen wollen, gibt es keine andere Möglichkeit als dort hinzufahren. Ich bringe, wenn ich morgen komme, die Unterlagen mit.« Ich frage noch, wo die Frau denn festgehalten werde. Er meint, er habe sich die Karte angesehen – von Ankara sei es gar nicht so weit. Wie sich später herausstellt, sind es »nur« 500 Kilometer durch die Berge.
    Meiner Schwester erzähle ich besser nichts von unserem Plan, denn sie, meine Tanten und Cousinen würden sich nur Sorgen machen, wenn sie wüssten, dass ich in den Osten fahren will. Man verreist in der Türkei nicht einfach so in den Osten, höchstens zu Verwandten oder Bekannten. Wenn die nicht in der Nähe sind, ist man allein, das heißt, man ist in Gefahr.
    Zwei Tage später, Peter ist inzwischen in Ankara eingetroffen, steigen wir in den Bus nach Malatya. Züge gibt es in der Türkei kaum, und wenn, dann sind es langsame Vorkriegsmodelle, die ohnehin nur auf wenigen Strecken verkehren. Der Überlandverkehr findet – wie in den US A – entweder mit dem Flugzeug oder mit Bussen statt. Überlandbusse erreichen jeden Ort, man kann im Südosten in Diyarbakir oder an der syrischen Grenze in Gazi antep ein- und 15 oder 18 Stunden später in Istanbul wieder aussteigen.
    Auch in Ankara gibt es einen großen Busbahnhof, die otogar . Die Busunternehmen in den kleinen Buden der Terminalhalle kämpfen um jeden Reisenden. Bereits am Eingang stehen Männer, die Neuankommende ansprechen, nach ihrem Reiseziel fragen und dann zu der Bude schleusen, für die sie

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