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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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werden. Imam-Ehen sind Verabredungen oder Verträge zwischen den Familien, die mit dem Segen eines Geistlichen oder einer Sure aus dem Koran besiegelt werden. Die Mädchen unter 16 Jahren wurden fast alle unter Zwang oder arrangiert mit einem Verwandten verheiratet. Und je jünger die Frauen waren, desto mehr Gewalt haben sie von ihrem Ehemann oder seiner Familie erfahren.

»Frauenhäuser sind eine Schande«
    »Kadin dayanisma vakfi«, die Frauenberatungsstelle in Cankaya, dem Regierungsviertel in Ankara, liegt an einer der großen belebten Straßen. Sechs Frauen sind hier angestellt, unterstützt werden sie von über einem Dutzend ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen. Bisher gibt es etwa fünfzig solcher Beratungsstellen, die aber untereinander noch nicht hinreichend vernetzt sind.
    Hier herrscht die Farbe Lila vor, in der Kleidung, auf den Postern, in den Prospekten und an den Wänden. Frau Ü., ausgebildete Psychologin, erzählt, dass die Einrichtung 1987 von feministischen Frauen gegründet wurde, um Hilfe bei familiären Problemen anzubieten. Eine richtige Beratungsstelle konnte aber erst vier Jahre später eingerichtet werden, als die damals im Bezirk Cankaya regierende CH P endlich Gelder dafür bewilligte. Als 1997 die AK P die Kommunalregierung übernahm, wurden die Mittel wieder gestrichen, und die Beratungsstelle musste geschlossen werden. Die Frauen haben sich daraufhin um Projektmittel der Europäischen Union bemüht und sie 2000 auch bekommen. Die Diskussion über den EU-Beitritt, sagt Frau Ü., habe den Frauenorganisationen sehr geholfen. Die Zahl der Beratungsstellen sei gestiegen, und ihre Organisation bemühe sich, in allen Großstädten der Türkei eine solche Einrichtung auf die Beine zu stellen. Sie sprechen Frauen auf der Straße an, erläutern, was sie an Hilfe anbieten können, verteilen Karten mit den Notrufnummern.
    Wie nötig solche Beratungsstellen sind, zeigen die von dieser Einrichtung ermittelten Daten einer Befragung. 97 Prozent der Frauen erklärten, dass sie in ihrem Leben von Männern Gewalt erfahren haben. Die Befragung bezog Frauen aus allen sozialen Schichten ein, auch die Frauen der sogenannten »besseren Kreise«. Es sei nicht nur die AKP , die ihre Arbeit behindert, sagt Frau Ü. Was die Arbeit und Einrichtungen für Frauen anbetrifft, seien sich die Männer aller Parteien einig: Ein Frauenhaus sei eine Schande, die Männer würden ihr Ansehen verlieren, wenn es in ihrem Stadtteil ein Haus gibt, in das Frauen flüchten können.
    Es geht, wie so oft, um die Männer, nicht um die Frauen. Nicht dass Frauen in Not geraten, sondern dass ihnen geholfen wird, gilt als Schande.
    Niemand ist an der Seite der Frauen
    So dringend ein Frauenhaus auch gebraucht wird – eigentlich »sollten nicht die Frauen die Wohnungen verlassen müssen, sondern Männer, die schlagen, müssten einen Platzverweis bekommen«, sagt Frau Ü. Dafür gebe es auch eine gesetzliche Grundlage, und zusammen mit der Polizei schule die Frauenorganisation derzeit Beamte, die bereit und in der Lage sind, diese Gesetze auch durchzusetzen.
    Ich frage, ob auch die Religion, der Islam, eine Rolle bei all den Problemen spielt. Da wird Frau Ü. deutlich: »Seit die US A den Irak angegriffen haben, sehen wir doch, wer der Aggressor ist. Die Christianisierung ist viel gefährlicher als der Islam. Wir haben keine Angst, dass die Türkei sich islamisieren wird. Die Probleme dieser Welt liegen ganz woanders, nicht in der Türkei.« Ob sie eine Veränderung gegenüber früher sieht, was die Religiosität betrifft, möchte ich wissen. Ihr gefällt diese Richtung des Gesprächs nicht, und zum Abschied sagt sie: »Das Problem hier ist das Patriarchat, die Tatsache, dass die Männer die Frauen beherrschen. Die Religion unterstützt zwar diese Macht, aber sie ist nicht das eigentliche Problem. Woanders werden Frauen auch unterdrückt. Als die AK P am Anfang ihrer Regierungszeit zina , den Ehebruch, als Straftatbestand durchsetzen wollte, sind wir auf die Straße gegangen. Wir glauben auch nicht, dass die AK P die Scharia einführen wird. Das Problem ist, dass es in der ganzen Türkei nicht eine einzige Partei gibt, die auf Seiten der Frauen ist. Sie sind alle gegen die Frauen und verteidigen ihre Verfügungsgewalt über uns.Keine Partei will eine Demokratisierung, auch die CH P nicht. Bei den derzeitigen Demonstrationen, die gern als ›Frauenbewegung‹ dargestellt werden, geht es nicht um Frauenrechte. Es gibt keine Frauenbewegung in

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