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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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syrischen Christen, eines für die Griechen und für die Juden, daneben nur wenige Straßen, in denen Muslime wohnten. Nach der Vertreibung der nichtmuslimischen Ethnien Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte man, Kurden in Diyarbakir sesshaft zu machen, auch um sie den ländlichen Stammesführern zu entfremden. Auch viele Syrer und Araber wurden in der Stadt und der Umgebung angesiedelt. Talaat Pascha, der Innenminister des jungtürkischen »Komitees für Einheit und Fortschritt«, schuf so eine rein muslimische, vor allem kurdisch geprägte Bevölkerungsstruktur, wie es sie in der Geschichte der Stadt zuvor nie gegeben hatte. Anatolien war vor und während der osmanischen Herrschaft ein multiethnisches und multireligiöses Land. Die auf Nationalstaat und das Türkentum setzenden Jungtürken und später die Kemalisten haben durch ihre Politik der ethnischen Homogenisierung ein Problem heraufbeschworen, das jetzt nicht mehr zu lösen scheint, das »Kurdenproblem«.
    Solange die muslimischen Kurden, die Teile Ostanatoliens seit jeher beherrschten, gegen die christlichen Armenier vorgingen, war man von türkischer Seite einverstanden; man versuchte sogar, sie in die militärische Ordnung und die »panislamische« Idee des Reiches einzubinden. Als die Kurden sich als nicht beherrschbar erwiesen, reagierte man von türkischer Seite mit militärischen Maßnahmen. Eine »Assimilierung« allerdings, wie von Talaat Pascha, dann von Atatürk und allen folgenden Regierungen der Republik angestrebt, misslang – auch weil die tribalen Strukturen der Kurden und die alten Stammesbräuche von Blutrache, Verwandtenehe und Clandenken nicht aufgebrochen wurden. Vielmehr akzeptierte man den despotischen Umgang z. B. mit den Frauen und die Ausbeutung durch die Clanchefs und arrangierte man sich mit den agas , den Stammesführern. Die Menschen und das Land blieben sich selbst und ihren archaischen Sitten und Bräuchen überlassen. Und so herrschen die feudalen Familienclans weiter – bis heute. Auch die aktuellen Bemühungen, die Kurden als Muslime für die »gemeinsame Sache« des Islam zu gewinnen, dürften kaum von Erfolg gekrönt sein – sie fühlen sich als Minderheit, die hier jetzt die Mehrheit ist, von den Türken unterdrückt. Und tatsächlich werden ihnen oft noch die einfachsten Dinge verwehrt, mit denen sie ihre Identität bewahren könnten.

Der Zuverlässige
    An diesem Abend sind wir mit Herrn Z. verabredet. Eigentlich dürfte er über seinen Beruf gar nicht mit uns reden, denn er ist Polizist und war sein Berufsleben lang mit der »Kurdenfrage« beschäftigt. Das Gespräch mit ihm kam auch nicht auf offiziellem Wege zustande, sondern wurde von einem der vielen »Bekannten« vermittelt, die ich auf meiner Reise durch die Türkei traf. Er riet mir, mit Herrn Z. zu sprechen, denn der habe etwas zu erzählen. Sollten die Behörden etwas davon erfahren, bekäme Herr Z. Schwierigkeiten, ganz unabhängig davon, worüber er mit uns spräche. Es gibt eben Tätigkeiten und »Dienste« in diesem Land, über die keiner spricht. Sie sind ein öffentliches Tabu. Der Corpsgeist funktioniert in diesen Bereichen ebenso wie in den türkischen Familien – was innerhalb des Hauses geschieht, geht niemanden etwas an. Es wird ein Geheimnis daraus gemacht, wo Offenheit Vertrauen schaffen könnte.
    Als Peter und ich den vereinbarten Treffpunkt aufsuchen, finden wir ihn in der Straße eines Geschäftsviertels, die grell von auffälliger Neonreklame erleuchtet ist – blinkende Herzen in den Fenstern, Bierreklamen –, und vor dem Hotel, in dem wir mitHerrn Z. verabredet sind, stehen Gruppen von Männern herum. Ein ungewöhnlicher Ort, denn Werbung für Alkohol haben wir bisher im Osten der Türkei nicht entdecken können, schon gar nicht den Schimmer eines Rotlichtviertels.
    Herr Z. wartet schon vor dem Hotel auf uns. Er begrüßt uns, bringt uns zur Rezeption und sagt dem Concierge: »Das sind meine Gäste, achten Sie auf sie.« Man hört es, dass Herr Z. gewohnt ist, Anweisungen zu erteilen. »Selbstverständlich«, antwortet der Empfangschef und verbeugt sich dabei. Wir lassen uns im Foyer nieder, das mit dicken Clubsesseln ausgestattet ist. Es herrscht ein reges Treiben, ständig fahren Wagen vor, Frauen in Paillettenkleidern rauschen herein, auffällig viele davon blondiert und groß, und verschwinden dann mit ihren männlichen Begleitern im »Club«, dem hinteren Teil des Hotels.
    »Ich kenne dieses Hotel gut«, sagt Herr Z., »hier habe

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