Bittersüße Heimat.
eine klassische Formulierung und wird gebraucht , wenn sich jemand in den Au gen anderer ungehörig benimmt . Man ist , was man ist , immer nur durch seine Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft . Wer die unsichtba ren Grenzen solcher Communitys überschreitet , wer , wie wir , in die »dunklen« Städte im Südosten Anatoliens reisen will , wo hauptsäch lich Kurden und kleine christliche Minderheiten leben , bekommt die Frage zu hören: »Was hast du mit denen zu tun?« Es ist das »mahalle« –Prinzip , in dem Sicherheit nur durch Abgrenzung gegen an dere und durch Kontrolle der eigenen Gemeinschaft gewährt zu sein scheint .
Ic h wollt e wissen , wi e sic h da s Zusammenlebe n verschiedene r Re ligionsgemeinschaften , besonder s de r christliche n Minderheite n in mitte n eine r erdrückende n muslimische n Mehrheit , dor t gestaltet . Di e Regio n u m Urf a gil t al s di e Wieg e de r abrahamitische n Religio nen , viel e Spure n zeuge n davon . Heut e bezeichne t sic h de r Or t stol z al s Stad t de s Propheten . Fü r di e Armenie r hingege n is t Urf a unaus löschlic h mi t de m »Holocaust « a n 300 0 Armenier n i m Jahr e 189 5 verbunden .
Zur Zeit des Osmanischen Reiches lebten die Menschen in eige nen millets , Religionsgemeinschaften , mit einem Vorsteher , der An sprechpartner für die Behörden des Padischah , des Kalifen , war . Die türkische Republik hat mit dem Prinzip der millet s gebrochen , das Leben in eigenen mahalles , in Stadtvierteln aber , wo die Nachbar schaft misstrauisch beäugt , wer hier ein und aus geht , hat sich erhalten . Die christlichen Minderheiten aber , wie die Armenier oder die Süryanäer , sind inzwischen oft zu kleine Gemeinschaften , um eigene Viertel bewohnen zu können . Viele ihrer Angehörigen sind vertrieben worden . Wer geblieben ist , bemüht sich – unter dem Schutz der Europäischen Gemeinschaft – um den Dialog mit der muslimischen Gesellschaft , andere haben sich , wie in Diyarbakir , vor der Feindseligkeit ihrer Umwelt hinter hohe Mauern zurückgezogen .
»Waffen hier abgeben«. Das Schild am Tresen neben dem Ausgang des kleinen Flughafens von Diyarbakir im Südosten der Türkei scheint seine Berechtigung zu haben: Zwei Männer warten, um dem Beamten hinter dem Schalter ihre Pistolen auszuhändigen. Denn der zivile Flughafen ist nur Anhängsel einer großen Militärbasis; dort steht auf der Startbahn eine Reihe von Kampfhubschraubern, und in den Hangars stehen die Düsenjets, die vielleicht schon morgen einen Einsatz im Nordirak fliegen. Am Ausgang wartet neben den Taxis ein Gefangenentransporter auf zwei Polizisten, die einen jungen Mann in Handschellen abführen, der mit uns im Flugzeug gesessen hat. Mir fällt ein, dass meine türkischen Freunde erschrocken reagierten, als ich erzählte, dass ich nach Diyarbakir fahre.
Der Taxifahrer hingegen freut sich sichtlich, endlich Touristen zu chauffieren. »Ich frage Sie, Schwester, wie soll ich denn sonst mein teures Auto abzahlen? Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir, Ihrem Bruder im Osten, die Möglichkeit geben könnten, Ihnen die Sehenswürdigkeiten der Stadt mit dem Taxi zu zeigen.« Außerdem, sagt er, sei er ein ehrenwerter Mann, und wir seien bei ihm sicher und geschützt, was längst nicht bei jedem so sei; im gleichen Atemzug schimpft er darüber, dass so schlecht über seine Stadt geredet werde und deshalb niemand hierherkomme.
Wir fahren an einem Zaun entlang, hinter dem die Militärgarnison liegt, die durch eine große Straße von der Stadt getrennt ist. Auffällig schwer bewaffnete Soldaten patrouillieren hier. Wie überall in der Türkei verfügt das Militär neben den Kasernen für die Soldaten auch über eigene Wohngebiete für die Familien der Offiziere, in denen auch alle möglichen anderen Einrichtungen – Läden, Sportplätze und Clubs – zu finden sind, die kostengünstig genutzt werden können; Nichtmilitärs haben dort keinen Zutritt. Auf den Stadtplänen sind diese Sperrgebiete als weiße Flecken ausgewiesen. Hier im Osten macht die Militärpräsenz eher den Eindruck einer Besatzungsmacht in Feindesland. Die Stadt gilt als heimliche Hauptstadt der Separatisten, der PKK . 98 Prozent der Bevölkerung sprechen Kurdisch oder Zaza, eine iranische Sprache, die von etwa zwei Millionen Kurden gesprochen wird. Auch der Bürgermeister Diyarbakirs ist Kurde.
In der Festung
Unser Hotel liegt an einer vierspurigen Straße vor dem Tor zur Altstadt, die von einer fünf Kilometer
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