Bittersüße Heimat.
ich schon manche Nacht verbracht.« Er lacht und sieht plötzlich sehr müde aus. Seit einer Operation im letzten Jahr, an der er fast gestorben wäre, so erzählt er, habe er stark abgenommen und sei nicht mehr so »mobil«. Der Kellner serviert cay , Tee, und Herr Z. berichtet, wie er zu seiner Tätigkeit gekommen ist.
Er kam schon mit 13 Jahren zur Polizei, aber er war groß und stark, und das, so meint er, imponiere den Leuten. Die Familie war arm und hatte viele Kinder, aber Herr Z. hatte die Grundschule besuchen können. Bei der Polizei war er anfangs Teejunge, durfte Botengänge und Hilfsarbeiten erledigen, aber er hatte als Einziger in der Familie ein festes, wenn auch sehr geringes Einkommen. Mit 18 wurde er zum Militär eingezogen. Danach bekam er eine Festanstellung bei der Polizei und konnte später Beamter werden. Aufgrund seiner Körpergröße kam er zur Abteilung »Verbrechensbekämpfung«. Das war in den 1960er Jahren.
Leicht sei seine Arbeit nicht gewesen, meint Herr Z., die Verhöre waren anstrengend, erst recht, wenn es um eine Beweisaufnahme gegangen sei. Dann musste er zuweilen »etwas streng werden, damit die Leute den Mund aufmachten«. Aber er mochte seine Arbeit und fand sich schnell in die neuen Aufgaben ein.
»Dann wurde ich nach Ankara versetzt, und dort verbrachte ich die besten Jahre meines Lebens. Ich war für die öffentliche Ordnung der Parks und der vielen ›Casinos‹, Restaurants mit Musikdarbietungen, zuständig. Da ich für meine Korrektheit und Unbestechlichkeit bekannt war, war ich sehr beliebt, man nannte mich damals ›Onkelchen‹; wenn ich kam, standen alle stramm. Die 1970er Jahre waren die Zeit der öffentlichen Konzerte. Immer war irgendwo etwas los, und nie habe ich bezahlen müssen, im Gegenteil: Mir wurde der schönste Platz reserviert. Bis in den Morgen war ich oft dort und lernte sogar manch schöne Sängerin kennen! Das war eine tolle Zeit!«
Die Verhafteten »streicheln«
Nach dem Militärputsch 1980 wurde Herr Z. in den Osten zurückversetzt, dort wurden, wie er sagt, »zuverlässige Leute mit Erfahrung für die Verbrechensbekämpfung gebraucht«. Es ging hauptsächlich gegen die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans. »Dabei wurde ich mit kriminellen Machenschaften konfrontiert, die ich vorher nicht gekannt hatte – dem Schmuggel, den einige kurdische, arabische Großfamilien an der syrischen Grenze betrieben, beispielsweise. Aber auch hier lernte ich schnell.«
Als ich ihn frage, ob er auch mit Verbrechen innerhalb von Familien zu tun gehabt habe, schüttelt er den Kopf. Andere Aufgaben, die Bekämpfung von Bandenkriminalität, Schmuggel und Mafia, gingen vor. Dann fällt ihm aber doch noch ein besonderer Fall von »Familiensache« ein, die er selbst auf den Tisch bekam. Ein Mann war festgenommen worden, gegen den eine Anzeige vorlag. Herr Z. zögert einen Moment, holt tief Luft und sagt ganz verlegen: »Sie werden es mir nicht glauben, aber von so einer Geschichte hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gehört. Ich konnte es auch kaum glauben, dass es so etwas gibt.« Er beugt sich zu mir hinüber und sagt ganz leise, fast flüsternd: »Der Mann hatte seine eigene Tochter geschwängert! Können Sie sich eine solche Ungeheuerlichkeit vorstellen? Als er es schließlich auch zugab, habe ich ihn in unsere ›Spezialecke‹ gezogen und ihn verprügelt. Ich kann Ihnen sagen, ich habe viel geschlagen in meinem Leben, aber er bekam mehr als jeder andere Kurde, der mir je in die Hände fiel. Die ganze Nacht habe ich auf ihn eingedroschen, zwischendurch wurde ich müde und war erschöpft. Dann ruhte ich mich ein wenig aus, um danach wiederweiterzumachen. Ich weiß bis heute nicht, wie er diese Tortur überlebt hat.«
Leider müsse das manchmal sein, wie solle man denn sonst zu Geständnissen kommen? »Dass es jetzt richtige Polizeischulen gibt, wo nur aufgenommen wird, wer Abitur hat – da schüttele ich nur den Kopf. Die jungen Polizisten sind sich doch viel zu schade zum Schlagen. Wenn ich Kurse an einer solchen Schule gebe, rate ich ihnen, ›streichelt‹ die Verhafteten doch wenigstens, bevor ihr sie abführt. Wohin ist die Türkei bloß gekommen? Alles Weicheier! Beim Militär sieht es auch nicht besser aus, wie wollen diese Hosenscheißer unser Vaterland denn vor den Feinden retten?«
Herr Z. holt tief Luft, er ist jetzt richtig in Schwung gekommen: »Es war Mitte der 1980er, nach dem Putsch. In der Nacht hatten wir eine ›Operation‹, das heißt
Weitere Kostenlose Bücher