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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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eine Razzia, gegen die Kurden durchgeführt. Ich hatte Nachtschicht, und meine Kollegen brachten ein paar kurdische Studenten auf die Wache, die Flugblätter verteilt hatten. Ich saß noch hinter meinem Schreibtisch, als der Polizeichef höchstpersönlich den Raum betrat, sich den erstbesten Jungen schnappte und anfing, auf ihn einzudreschen. Er geriet dabei total außer Kontrolle, der Junge lag schon längst wie ein nasser Sack am Boden, und er zerrte ihn immer wieder hoch und schlug seinen Kopf gegen die Wand. Als er überhaupt nicht damit aufhören wollte, konnte ich es nicht länger mit ansehen. Obwohl es mein Chef war, der da wie ein Berserker wütete, sprang ich dazwischen, packte meinen Vorgesetzten und schleuderte ihn gegen die Wand. In dem Moment war mir meine Zukunft und alles andere egal. Ich schrie die Kurden an, sie sollten ihren Kumpel nehmen und abhauen. Das taten sie auch. Der Chef verließ wortlos den Raum. Einige Stunden später, ich war noch nicht schlafen gegangen, hörte ich eine Explosion. Es war das Apartmenthaus, in dem mein Chef und einige Kollegen von mir wohnten. Es war in die Luft gesprengt worden, keiner hat überlebt. Mich haben sie verschont. Der misshandelte Junge war der Sohn eines großen Clanchefs der Stadt.
    Einige Wochen später kam der Vater des Jungen zu mir und bot mir ein Auto an, wenn ich gegen seinen Sohn und andere seiner Clanmitglieder Anzeige erstattete. Denn mit einem solchen Dokument hätten sie dann in Deutschland leichter Asyl bekommen.Manche Kollegen sind mit solchen ›Gefälligkeiten‹ reich geworden. Wir bekamen und bekommen immer noch Hungerlöhne, und viele meiner Kollegen waren deshalb verführbar. Ich habe mich nie bestechen lassen. Tausende, darunter auch kriminelle Türken, sind so nach Deutschland gekommen – sie galten als politisch verfolgte Kurden.«
    Es ist bereits Mitternacht, als Herr Z. uns verlässt. Er hätte am liebsten noch endlos von seinen Erlebnissen berichtet. Zweifel an seiner Tätigkeit waren ihm nicht anzumerken. Die türkische Polizei stand lange in dem Ruf, weniger als Hüter des Gesetzes aufzutreten, als vielmehr Vergeltung zu üben. Mit einem solchen Vorwurf hat Herr Z. auch keine Probleme; Folter sieht er als notwendigen Bestandteil seiner Tätigkeit – er nennt das nur anders: »streicheln«. Den Vater, der seine Tochter missbrauchte, hat er der in seinen Augen »angemessenen« Strafe zugeführt. Das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung dürfte ihm kaum einleuchten: Er war Polizist und Richter in einem. Ob mit ihm auch dieser Geist pensioniert wurde, daran lässt sich zweifeln; Polizeiaktionen, von denen manchmal berichtet wird, sprechen dagegen.

Vom Leben in der Diaspora
    Der Übermacht der Muslime trotzen in Diyarbakir nur zwei kleine Kirchen, deren Aktivitäten von ihrer Umgebung sehr genau beobachtet werden. Die eine ist in einem ehemaligen Wohnhaus in einer Seitenstraße der Altstadt untergebracht. Es ist eine christliche Freikirche, und die Mitarbeiter, die wir dort antreffen, kommen aus Australien und Chile. Die beiden sind von ihren Gemeinden als »Entwicklungshelfer« für ein oder zwei Jahre in die Diaspora geschickt worden. Stolz zeigen sie uns ihren Andachtsraum, der weniger an eine Kirche als an einen modernen Konferenzraum erinnert. Die Gemeinde hat etwa 30 Mitglieder, meist Christen, die in die Millionenstadt zugezogen sind. Konvertiten vom Islam zum Christentum scheint es nicht zu geben, wenigstens mögen die Mitarbeiter uns darüber nichts erzählen. Missionsarbeit unter den hiesigen Bedingungen dürfte wohl auch sehr schwierig sein.
    Die zweite Kirche, die Maryam Ana Kilisesi (Kirche zur Jungfrau Maria), in der syrische Christen, Süryani, wegen ihrer Liturgie auch Aramäer genannt, die Gemeinde bilden, liegt hinter einer zwei Stockwerke hohen Mauer verborgen. Erst nach verabredeten Klingelzeichen und gutem Zureden eines vor der Tür postierten Polizisten öffnet eine alte Frau das Tor und lässt uns hinein. Hinter der Mauer erstreckt sich ein überraschend großes Gelände, auf dem eine alte, an romanische Bauten erinnernde Kirche, ein Refektorium und zwei Wohnhäuser stehen. Alles ist nach Auskunft der Frau und ihres Sohnes Jakov, der mit seiner Familie auf dem Gelände lebt, in den Ursprüngen fast achtzehnhundert Jahre alt. Die Gebäude sind in gutem Zustand, renoviert mit Mitteln der Europäischen Union und reicher Spender aus den USA .
    Nach Auffassung der Süryanäer geht der Name der Stadt auf

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