Bittersüße Nacht - McLeod, S: Bittersüße Nacht - The Bitter Seed of Magic
schon einmal in mein Heim gekommen. Zwei, mit einem Kelpie und diesem Wasser-Mann.« Seine orangeroten Augen glühten vor Zorn. »Verwandte von ihr, kaum zu glauben. Sie haben sie mir weggenommen und die Kleine auch.«
»Haben wen weggenommen?«, fragte ich bemüht beiläufig. Ich wusste natürlich, von wem er sprach: von Rhiannon oder besser Engel, wie sie jetzt hieß, und ihrer Tochter Brigitta, Anas Mutter.
»Sie hat so gern gesungen«, bemerkte er sehnsüchtig und summte etwas, das sich anhörte wie »Schlaf, Kindlein, schlaf«.
»Das tut sie immer noch«, sagte ich in demselben beiläufigen Ton, während sich meine Finger in dem orangeroten Fell verkrallten.
»Sie war glücklich hier.« Er senkte seinen massigen Schädel, wie um sich bei mir zu entschuldigen. »Wir haben sie nie zu etwas gezwungen, hübsche Sidhe, nicht mal mit dem Fluch als Vorwand. Sie hat von sich aus alles gemacht, was wir von ihr verlangt haben.«
»Weil sie das alles gar nicht verstanden hat«, sagte ich, meinen Zorn nur mühsam im Zaum haltend. »Wie hätte sie auch, da sie doch nicht ganz richtig im Kopf ist?«
»Ja, du hast natürlich recht«, antwortete er sanft, »aber sie hat auch eine prima Tochter in dir.«
Meine Hand zuckte, und ich ließ unwillkürlich das Fell los. Es flirrte kurz, dann verschwand er.
Engel war meine Mutter.
Ich ließ den Kopf an die Wand sinken. Es wollte mir schier das Herz zerreißen. Obwohl ich es, in einem versteckten Winkel meines Herzens, eigentlich längst geahnt hatte … nicht sofort, obwohl es mir das erste Mal, als ich sie sah, vorkam, als würde ich in den Spiegel schauen. Seitdem hatte diese Ahnung nicht aufgehört, in mein Bewusstsein zu tropfen wie eine chinesische Wasserfolter. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich wollte nicht von meiner Überzeugung ablassen, dass meine Mutter eine Sidhe namens Natalja gewesen war, die bei meiner Geburt starb, und nicht eine, die mich verlassen hatte. Und ich hatte nicht wahrhaben wollen, dass die Rolle, die ich bei dem Fluch spielte, kein Zufall war, dass auch ich nur ein weiteres »Fluchbrecherkind« war, in einer Familie, die nur aus solchen zu bestehen schien: ein Kind, das den Vampiren überlassen worden war, damit es einen Fluch brach, der verlegt worden war.
Kein Wunder, dass Clíona – meine Großmutter Clíona – mich unbedingt hatte töten wollen, als ich mit vierzehn Jahren von zu Hause ausriss und nach London ging. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes ihre schmutzige Wäsche, die niemand sehen durfte.
Tränen traten mir in die Augen, und meine Kehle war auf einmal wie zugeschnürt. Wenigstens hatte ich jetzt die Kette mit dem Fruchtbarkeitszauber und konnte alles wieder in Ordnung bringen – ohne selbst ein Opferkind gebären zu müssen.
Jack kam in seiner Rabengestalt aus dem staubverhüllten Loch geflogen, die bewusstlose Nicky in seinen Krallen, deren weißes Rüschennachthemd im Windstoß seiner schlagenden Flügel ihre Beine umflatterte. Er hielt nicht inne, sondern flog über uns hinweg und durch die Wände des Clubs, als ob sie gar nicht vorhanden wären. Hoffentlich brachte er sie zu Finn. Kurz darauf tauchte ein langer, dürrer Vampir auf, der sich die ebenfalls bewusstlose Helen über die Schulter geworfen hatte. Er ließ sie auf den Teppichboden der Diele gleiten. Sie rührte sich nicht, und ich fürchtete schon, dass sie tot sein könnte.
Aber der Vampir knetete ängstlich seine Hände und sagte flehend: »Bitte entschuldigen Sie, Ms Taylor, aber ich musste sie kurz kaltstellen. Sie hat sich gewehrt, und das hat mich ganz hungrig gemacht.« Er beugte sich vor, berührte mit der Fingerspitze ihre Stirn und brachte sich dann mit einem Sprung in Sicherheit.
Helen fuhr hoch wie ein Stehaufmännchen, die Fäuste geballt, mit zornfunkelnden Augen wild um sich blickend. Über ihre rechte Wange und ihren Unterkiefer zog sich ein schillernder Bluterguss, der von dem Kinnhaken stammte, den ich ihr versetzt hatte. Nicky hatte offenbar nicht so hart zugetreten, wie ich geglaubt hatte. Als ihr Blick auf mich fiel, kam sie mit langen Schritten auf mich zu.
»Ich will es wiederhaben!«, kreischte sie.
Bevor ich reagieren konnte, schnippte sie mit den Fingern, und ich wurde von einem magischen Faustschlag an der verletzten Schulter getroffen.
Verdammtes Miststück.
Der Schmerz raubte mir die Sinne, ich fiel in einen bodenlosen schwarzen Abgrund.
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55. K apitel
I ch erwachte in einem Sarg, einem mit weißer Seide
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