Bittersuesser Verrat
hängte sie sich über die Schulter. »Sie macht mächtig Eindruck.«
Shane verstellte ihr den Weg und trotz allem, trotz aller guten Vorsätze, blickte sie ihm in die Augen. Das Leuchten darin nahm ihr den Atem. Seine Fingerspitzen berührten ihr Gesicht. Dann beugte er sich herunter und küsste sie. »Nein«, murmelte er in ihren Mund. »Sie nicht. Aber du.«
Bevor ihr einfiel, was sie hätte erwidern können, ging er zum Schrank und holte die Kamera. Claire sah, dass Michael im anderen Zimmer auf Eve einredete - na ja, von Eve sah sie nur den starren Rücken. Michael drehte sich um, als er sie und Shane hereinkommen sah.
Eve öffnete die Wohnungstür und knallte sie hinter sich zu. Dann stürzte sie die Treppe hinunter und ließ sie alle weit, weit zurück. Als sie sie endlich einholten, saß sie längst auf dem Beifahrersitz, das Gesicht dem getönten Fenster zugewandt. Falls sie weinte, konnte Claire es nicht sehen. Sie hatte sich eine riesige, verspiegelte Sonnenbrille aufgesetzt, die sie in einem Vampirauto absolut nicht brauchte.
Okay«, sagte Michael und kletterte hinter das Lenkrad. »Wohin?«
»Bring mich nach Hause«, sagte Claire. »Ich werde mir den technischen Kram mal vornehmen.«
»Setz mich am Common Grounds ab«, sagte Eve. »Ich muss mit ein paar Leuten reden.«
Michael räusperte sich. »Soll ich vielleicht mitkommen?«
»Nein.« Ihre Stimme war ausdruckslos und kühl. Claire zuckte zusammen und sah Shane an. Im dämmrigen Licht konnte sie seine Gesichtszüge nur vage erkennen, aber er sah bestürzt aus. »Du hast sicher etwas zu erledigen, oder?«
Sie musste wohl recht haben, denn Michael verneinte nicht direkt.
Shane sagte: »Okay... dann bleibe ich zu Hause und schaue Fernsehen. Auch eine Aufgabe von größter Wichtigkeit. Nicht jeder kriegt das unter Druck hin.«
»Du solltest mit mir kommen«, sagte Eve. »Ich kann Hilfe gebrauchen.«
Und das, nachdem sie Michaels Angebot soeben abgelehnt hatte. Autsch.
Shane musste dasselbe gedacht haben; er warf Michael einen entschuldigenden Blick zu und Michael nickte kaum merklich.
»Okay, klar«, sagte er. »Hervorragend.« Shane streckte Eve seine Faust hin und sie stieß mit ihrer Faust dagegen. »Claire? Ist es okay, wenn du dann allein bist?«
»Klar«, sagte sie und umklammerte die Laptoptasche noch fester. »Was sollte denn schiefgehen?«
Michaels Augen blitzten auf, ihre Blicke trafen sich im Rückspiegel.
»Ich meine, abgesehen von allem«, ergänzte sie.
11
Claire packte Kims Laptop aus, als sie zu Hause, das heißt im Glass House, ankam - das Letzte, was sie jetzt wollte, war, ihre Eltern da mit hineinzuziehen. Sie richtete die Webcam ein und versuchte, auf den Datenfluss zuzugreifen. Das war nicht besonders schwierig, weil sie die IP-Adresse der Kamera kannte; Kim hatte die Info praktischerweise direkt mit auf das Etikett geschrieben. Das Problem war nur, dass sich am anderen Ende ein Zufallsgenerator befand, ein spezielles Programm, das das Signal verschob und alle paar Minuten über das Internet umleitete. Das Signal befand sich direkt in Morganville; das konnte Claire an den Zeiten erkennen, aber Claire hatte keine Ahnung, wo sie anfangen sollte zu suchen. Kim hatte offensichtlich ein paar Vorsichtsmaßnahmen getroffen.
Doch so leicht gab Claire nicht auf. Sie mochte Kim nicht, aber hier stand eine Menge auf dem Spiel: Das Leben der Vampire - einschließlich Michaels -, Kims Leben, vielleicht alles, was sie sich hier - zu welchem Preis auch immer - aufgebaut hatten.
Michael hatte recht; sie konnten nicht zulassen, dass Kim das für ihren eigenen Ehrgeiz opferte. Die Wahrheit mochte vielleicht ans Licht kommen, aber das sollte nicht auf diese Weise geschehen, nicht als eine schreckliche Form des Voyeurismus.
Schließlich schaute sie sich das Video noch einmal an, das sie in Kims Loft gesehen hatten. Ich kann es nicht glauben; endlich habe ich es geschafft, einige im letzten Gründerinnenhaus zu installieren. Die Verbindungen scheinen gut zu sein, der Stream lädt hoch.
Claire machte sich im Glass House auf die Suche nach Kameras.
Die erste fand sie im Belüftungsschacht in Shanes Zimmer. Sie musste sich auf sein Bett sinken lassen, den Kopf in die Hände gestützt. Die Kamera war direkt auf sein Bett gerichtet.
Oh, mein Gott. Oh nein. Zuerst wurde ihr ganz elend bei dem Gedanken, dass Kim stundenlange Videoaufnahmen von Shane durchsah, in seine Privatsphäre eindrang, ihn dabei beobachtete, wie er sich
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