Bittersweet Moon
erwartete irgendwelche
Kritikpunkte. Um so überraschter war ich, als er die Tür hinter mir schloss und
begann zu reden, nachdem er mich eine Weile prüfend betrachtete. "Diana,
was ist los mit dir?", fragte Herr Bergmann mit besorgter Stimme und
faltete seine hohe Stirn, während er seine Brille putzte.
"Wie
meinen Sie das? Was mache ich falsch?" verstand ich seine Frage nicht und
ich setzte mich verdutzt auf den Stuhl, den er mir vorher angeboten hatte. Ich
war sehr gut vorbereitet und in meinem Kopf suchte ich nach eventuellen
Fehlern, die mir unterlaufen waren.
"Du
machst alles sehr gut und beherrschst die Rolle einwandfrei“, sprach er in
einem Atem und setzte die Brille wieder auf. „Aber - wie du sie singst und
spielst, das macht mir Sorgen. Du singst, als ob es um Leben und Tod gehen
würde, bei jeder Probe gibst du hundert Prozent und interpretierst die Mimi mit
einer verzweifelten Verbissenheit. Das ist nicht mehr die gleiche Mimi wie am
Anfang der Probezeit." Er verschränkte die Arme an seiner Brust und
schaute mich mit einem scharfen Blick an, den ich nicht aushalten konnte.
"Was ist mit dir passiert? Du kannst es mir sagen", sprach er mit
ruhiger Stimme. Jetzt lächelte er mit einer väterlichen Zuneigung und wirkte
sehr vertrauenserweckend. Herr Bergmann war mein Lieblingslehrer und ich mochte
ihn von Anfang an sehr. Er befand sich kurz vor seiner Rente und hätte fast
mein Großvater sein können. Seine legere, junggebliebene Art und die
kosmopolitische Aura, die ihn umgab, machten ihn auch in seinem Alter zu einem
hochinteressanten Mann. Vor wenigen Jahren heiratete er sogar eine Sängerin,
die dreißig Jahre jünger war als er, und wie ich es aus Tratschgeschichten
erfahren hatte, war er früher ein großer Womanizer gewesen. Sein weißes Haar
war immer noch dicht und lang und er hatte den temperamentvollen Gang eines
jungen Mannes. Ich konnte es mir vorstellen, dass sich noch so manche
Studentin, die auf ältere Männer steht, in ihn verlieben könnte. Unsere
Beziehung war völlig frei von Hintergedanken in dieser Hinsicht und ich
arbeitete sehr gerne mit ihm. Ich liebte seinen Humor und ich bewunderte seine
brennende Leidenschaft für die Oper sehr. Ja, ich kann es ihm sagen ,
entschied ich mich endlich und seufzte laut, bevor ich anfing zu erklären.
"Ich habe Liebeskummer", sagte ich kurz und einfach.
"Das
dachte ich schon", sagte Herr Bergmann trocken. "Wegen Max?" Es
war ihm natürlich bekannt, dass wir ein Paar waren.
"Es
ist aus mit Max und mir. Aber ich bin nicht wegen ihm so durcheinander",
erklärte ich ihm.
"Also
ein anderer", nickte er. "Hat er dir dein Herz gebrochen?",
fragte er mitfühlend.
"Er
musste mich verlassen, weil er verheiratet ist und in der USA lebt",
erzählte ich die kürzeste Version unserer Geschichte.
"Ich
verstehe. Das ist schlecht. Sogar sehr schlecht", stellte er auf seine
pragmatische Art fest und nickte weiter. "Werdet ihr euch weiter sehen?"
"Ja,
im Frühling. Er möchte mich nicht sofort aufgeben und ich kann auch nicht auf
ihn verzichten, ich liebe ihn zu sehr", sprach ich leise und dabei füllten
sich meine Augen mit Tränen. Die Aussichtslosigkeit unserer Situation wurde mir
bei meinen eigenen Worten wieder bewusster und in meiner Brust spürte ich eine
beängstigende Verzweiflung aufsteigen. Dachten wir wirklich allen Ernstes,
wir könnten so eine komplizierte Beziehung weiterführen?
"Ich
habe kein Recht mich einzumischen und dir Ratschläge zu erteilen",
unterbrach Herr Bergmann sachlich meine verzweifelten Gedanken. "Ich
möchte dir nur als dein Lehrer ans Herz legen, dass du die Rolle nicht als ein
Ventil für deine Gefühle benutzen darfst. Ich will nicht, dass du mir bei der
Premiere auf der Bühne zusammenbrichst, weil du dich so sehr in die Rolle
reingesteigert hast und vergessen hast, wo deine Grenzen sind. Verstehst du
mich? Du bist nicht Mimi und dein Lover ist nicht Rodolfo. Also bitte nimm dich
in Acht und trenne dein Privatleben von der Rolle. Versprichst du mir das? Du
spielst und du singst auf der Bühne nur, aber deine Emotionen gehören dir.
Schaffst du das? Sonst sehe ich mich gezwungen, dich aus der Besetzungsliste zu
streichen, weil du mir als Risiko für das ganze Projekt erscheinst."
Die
ganze Zeit während er mit ernster Stimme zu mir sprach, schwieg ich nur nickend
und unterbrach ihn nicht. Ich wusste ja, er hatte völlig recht. In meiner fast
selbstzerstörerischen Darstellungswut, mit der ich mich abzureagieren und
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