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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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waren aber sehr kompliziert zu basteln, man brauchte Genehmigungen für den Papierverbrauch und Erfahrung im Piñata-Bau, außerdem passten sie überhaupt nicht zum Thema des Balls, das »Südseeparadies« lautete. Schließlich entschieden wir uns für eine sehr einfache Lösung: Leo als Teilnehmer zu tarnen. Da so viele Jungen im Smoking zum Tanzen kommen würden, überlegten wir, dass Leo auch einfach einen anziehen und damit nach draußen gehen würde. Um halb zehn, ungefähr eine Stunde nach Eröffnung der Tanzfläche, würde er einfach das Gebäude verlassen und in ein Auto steigen. Er würde genau wie alle anderen aussehen. Scarlet und ich organisierten sogar, dass Gable, Win und Leo genau die gleichen Smokings ausliehen. Ohne es zu ahnen, trugen sie zu dem Eindruck bei, dass Leo einfach nur ein Schüler wie alle war, ununterscheidbar von den anderen.
    Was witzig war: Ungefähr zehn Tage vor dem Ball fragte Win mich, ob ich trotz allem hingehen wolle. »Du hast so viel Stress gehabt«, sagte er. »Außerdem weiß ich, dass dir so was nicht so viel Spaß macht wie mir. Ich würde es auf jeden Fall verstehen, wenn du diesmal lieber absagen würdest.«
    »Nein«, entgegnete ich. »Ich will mit dir hingehen. Ich glaube, es ist besser für mich, wenn ich nicht immer nur Trübsal blase. Sondern so viel wie möglich unternehme.« Das stimmte, auch wenn ich unterließ zu erwähnen, dass das bloße Überleben meines Bruders von meiner Teilnahme an dem Ball abhing. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich eine öffentliche Veranstaltung so herbeigesehnt.
    Am Mittwoch vor dem Ball rief ich, wie verabredet, Yuji Ono an. Er hatte Leos Transport in die Wege geleitet, so wie er versprochen hatte. »Ein Wagen wird Leo zu einem Boot fahren, das ihn zu einer Insel vor der Küste von Massachusetts bringt. Von dort wird ihn ein Privatflugzeug nach Japan fliegen.«
    »Und was wartet in Japan auf ihn?« Ich zögerte mit der Frage.
    »Ich habe etwas sehr Schönes für ihn gefunden. Ich glaube, es wird dir gefallen. Es ist ein buddhistisches Kloster in der Berggruppe Koya-san. Es gibt dort viele Tiere und einen See mit Fischen. Mir fiel ein, dass du mir erzählt hast, dein Bruder hätte eine Schwäche für Tiere. Die Mönche, die dort leben, sind friedfertige Menschen. Sie essen Fisch, aber kein Fleisch. Außerdem wird die Sprache kein Problem für deinen Bruder sein, und du musst dir keine Sorgen um die Verschwiegenheit der Mönche machen – die meisten, die dort leben, haben ein Schweigegelübde abgelegt. Es ist aber kein hartes Leben, ich glaube, die Mönche werden sehr nett zu deinem Bruder sein, Anya.«
    Ich schloss die Augen. Stellte mir Leo mit einem Sonnenhut vor, wie er in einem hölzernen Bekabune-Boot fischte. Der Himmel und das Wasser waren so blau, dass man kaum sah, wo das eine aufhörte und das andere begann.
    »Das klingt wie im Paradies. Woher kennst du so einen Ort?«, fragte ich.
    »Vor langer Zeit dachte ich einmal, dass ich selbst gerne dort bleiben würde«, war Yuji Onos Antwort.
    *
    Nach einer endlos langen Woche, in der ich viele heimliche Gespräche sowohl mit Scarlet als auch mit Leo führte und mir insgeheim Sorgen machte, dass Leos Versteck entdeckt werden könnte, war es schließlich so weit. Win schenkte mir eine Corsage für das Handgelenk mit einer weißen Orchidee. Sie war wunderschön, aber erinnerte in Verbindung mit meinem schwarzen Kleid ein wenig an eine Beerdigung.
    »Ich wollte dir keine Rosen schenken«, erklärte Win. »Zu abgeschmackt für jemanden wie Anya Balanchine.«
    »Viel Spaß, ihr beiden!«, rief Natty und machte ein Bild von uns. Dann ließ sie die Kamera sinken. »Ich würde auch gern hingehen.«
    »Hier«, sagte Win und setzte ihr seine Mütze auf den Kopf. »Pass für mich darauf auf.«
    Um halb neun kamen wir in der Schule an. Ich tanzte mehrmals mit Win, dann entschuldigte ich mich und ging zur Mädchentoilette im zweiten Stock, wo ich mich mit Scarlet treffen wollte. Ihre Aufgabe war es gewesen, den Smoking mitzubringen und Leo anzuziehen.
    »Ist Leo schon umgezogen?«, fragte ich.
    »Ja«, antwortete er an ihrer Stelle und trat aus der Kabine. Er sah hübsch und erwachsen aus. Am liebsten hätte ich meine Kamera mitgebracht und ein Bild für Natty gemacht, auch wenn das natürlich nicht möglich war.
    »Sieht er nicht super aus?«, fragte Scarlet.
    »Ja.« Ich gab Leo einen Kuss auf die Wange.
    »Soll ich ihn wirklich nicht mit zum Auto bringen?«, fragte Scarlet. Sie

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