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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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Ganz zu schweigen davon, dass ich Charles Delacroix’ Sohn das Leben gerettet hatte – obwohl ich es gewesen war, die ihn überhaupt erst in Gefahr gebracht hatte. Aus Sicht der Polizei war ich eine Heldin. Oder zumindest eine Antiheldin.
    Und so wurde ich zu Hause unter Arrest gestellt, während die Mächtigen zu entscheiden versuchten, was mit mir zu geschehen hatte. Man schickte mich nicht nach Liberty, weil man vorsichtig geworden war nach dem katastrophalen Medienecho auf meinen letzten Aufenthalt dort.
    Was kann ich sonst noch erzählen? Ach ja: Leo. Gerade hatte ich meinen Hausarrest angetreten, als Yuji Ono mich informierte, mein Bruder sei in Japan angekommen und sicher bei den Mönchen von Koya. Zumindest war das alles nicht umsonst gewesen, dachte ich. Am Telefon fragte mich Yuji, ob ich noch etwas bräuchte. Ich verneinte. Er hatte mir schon genug geholfen.
    Wie es mit Win weiterging, ist natürlich auch interessant. Charles Delacroix verbot mir den Zugang zu Wins Krankenzimmer. Er sorgte auch dafür, dass weder meine Anrufe noch Dinge, die ich Win zukommen lassen wollte, seinen Sohn erreichten. Dabei war er äußerst gründlich, was man an dem Mann durchaus bewundern konnte.
    Ich las in der Zeitung, dass der Schuss Wins Hüftknochen durchschlagen hatte und sein Bein von mehreren Metallstäben und -nägeln zusammengehalten wurde. Er würde wieder gesund werden, doch Scarlet, die ihn besucht hatte, berichtete, er habe unheimliche Schmerzen. Sie erzählte mir auch, dass sein Vater ihn rund um die Uhr von Leibwächtern bewachen ließ. »Angeblich um sicherzustellen, dass sich keiner an Win heranmacht«, sagte Scarlet eines Tages, als sie bei mir zu Besuch war, »aber in Wirklichkeit will Charles Delacroix natürlich verhindern, dass Win versucht, dich zu erreichen.«
    Wie immer verstand ich den Standpunkt von Wins Vater. In weniger als einem Jahr hatte ich es geschafft, dass zwei meiner Freunde im Krankenhaus gelandet waren. Wie konnte man mich für etwas anderes als eine Gefahr halten? Wenn ich einen Sohn hätte, den ich liebte, würde ich ihn auch von mir fernhalten.
    »Aber weißt du was?«, sagte Scarlet.
    »Was denn?«
    »Er hat mir eine Nachricht mitgegeben. Er hatte nicht viel Zeit, sie zu schreiben.«
    Scarlet reichte sie mir. Win hatte auf ein sauberes Stück Verbandsgaze geschrieben.
    Liebe Anya,
    hör nicht auf meinen Vater.
    Komm bitte, wenn du kannst.
    Ich liebe dich immer noch. Natürlich.
    Win
    »Kann ich auch etwas aufschreiben, das du ihm dann gibst?«, fragte ich Scarlet.
    Sie überlegte. »Hm. Es wird schwieriger sein, eine Nachricht von dir reinzuschmuggeln. Die Wachen lassen nicht zu, dass man irgendwas mit zu ihm reinnimmt. Wenn die sehen, dass ich einen Zettel von dir habe, darf ich vielleicht nicht wiederkommen. Ich kann ihm doch etwas von dir ausrichten!«
    »Dann sag ihm …« Was gab es zu sagen? Ich war untröstlich. »Sag ihm danke für die Nachricht.«
    » Danke für die Nachricht! «, wiederholte Scarlet übertrieben fröhlich. »Na, super.«

    Zwei Wochen nach der Schießerei wurde mein Hausarrest unterbrochen, damit ich vor den Verwaltungsrat der Schule treten konnte. Simon Green begleitete mich. Die Aufgabe der Kommission war zu entscheiden, ob ich zum letzten Jahr an Holy Trinity zugelassen würde oder nicht.
    Ich möchte nicht mit den Details langweilen. Die Abstimmung endete mit elf Stimmen gegen eine, mich der Schule zu verweisen. (Die einzige Gegenstimme kam von der guten alten Dr. Lau.) Auch wenn ich mir so einiges hatte zuschulden kommen lassen (Auseinandersetzungen, Aufsässigkeit, unentschuldigtes Fehlen), ging es doch in erster Linie um die Waffe, die ich benutzt hatte, um auf Jacks zu schießen. Letztendlich wollte man nicht, dass jemand mit einer Knarre in der Tasche auf dem Schulgrundstück herumlief. Ich durfte meine Aufgaben bis zum Abschluss meines dritten Highschooljahres zu Hause erledigen, danach musste ich mir eine neue Schule suchen. Ich setzte es auf meine Aufgabenliste.
    Ich kann nicht behaupten, dass mir die Entscheidung der Schule nicht einleuchtete.
    Auf dem Rückweg von Holy Trinity bat ich Simon Green, beim Krankenhaus vorbeizufahren.
    »Hältst du das für eine gute Idee?«, fragte er mich. »Charles Delacroix hat doch sehr deutlich gemacht, was er von dir hält.«
    »Bitte!«, flehte ich ihn an. (Daddy sagte immer, zu betteln lohne sich nur, wenn es um das eigene Leben gehe, aber vielleicht lag er da falsch. Vielleicht lohnt es sich auch ein

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