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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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und fand, es könnte ein guter Zeitpunkt sein, mal ein Wörtchen mit meinem zunehmend aufdringlichen, zunehmend störenden Cousin zu reden.
    »Ja.« Leo wies auf die andere Seite des Schwimmbeckens, wo Jacks mit einer Rothaarigen saß, die seltsam gebräunt aussah und über alles zu lachen schien, was er sagte. Cousin Jacks hatte stets ein hübsches Mädchen an seiner Seite, Frauen im Allgemeinen schienen ihn attraktiv zu finden, auch wenn ich persönlich diese Anziehungskraft nicht verstand. Er war klein und sehr dünn. Seine Beine waren zu lang im Vergleich zum Rumpf. Bevor Jacks Mutter Prostituierte wurde, damals, als man mit Tanzen noch Geld verdienen konnte, war sie eine richtige Ballerina gewesen, und ich nahm an, dass Jacks nach ihr kam. Seine Augen waren grün wie meine, nur schossen sie immer kreuz und quer durch den Raum, um zu sehen, ob jemand Besseres da war, mit dem er reden konnte. Auf seine Fingerknöchel waren Buchstaben tätowiert: WORY W SAKONE, was übersetzt »Diebe im Gesetz« hieß und bedeutete, dass jemand einen hohen Rang in der Unterwelt besaß.
    Ich betrachtete meinen Bruder. Er schwitzte leicht, und ich fragte mich, ob er, wie so oft an lauten Orten, Kopfschmerzen hatte oder ob ich mir zu viel Sorgen machte und er einfach nur vom Tanzen schwitzte. »Leo, ist alles in Ordnung?«, fragte ich.
    »Mir geht’s gut«, sagte er.
    »Keine Sorge, kleine Schwester«, sagte eines der aufgetakelten Mädchen zu mir. »Wir kümmern uns schon um deinen Bruder.« Sie lachte und nahm Leos Hand.
    Ich ignorierte sie. »Leo, ich rede jetzt mit Jacks und dann gehe ich nach Hause. Kannst du bitte mitkommen?«
    Leo nickte.
    »Ich hole dich ab, wenn ich mit Jacks fertig bin«, erklärte ich ihm.
    Auf der Treppe zum Schwimmbecken saß Jacks und befummelte die Rothaarige. Es schien sie nicht zu stören.
    »Na, wenn das nicht die kleine Waise Annie Balanchine ist, du bist ja plötzlich ganz erwachsen«, begrüßte Jacks mich. Er schlug der Rothaarigen auf den Oberschenkel, dann schickte er sie mit einer lässigen Handbewegung fort. Sie hatte noch nicht mal genug Selbstachtung, um beleidigt zu sein. Jacks stand auf und küsste mich auf die Wange. Ich erwiderte den Kuss, achtete aber darauf, seine Haut nicht mit meinen Lippen zu berühren. »Schön, dich zu sehen, Annie.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Wie lange ist das schon her?«
    Ich zuckte mit den Schultern, obwohl ich genau wusste, wie lange es her war. »Ich muss mich wohl bei dir bedanken, dass du Leo mit Arbeit ausgeholfen hast«, sagte ich.
    Jacks winkte ab. »Leo ist ein guter Junge, und du weißt, dass ich für deinen Vater alles tun würde. Nicht der Rede wert.«
    Ich sah Jacks in die Augen. »Es ist der Rede wert, Cousin, weil es nicht richtig wäre, so einen Gefallen anzunehmen, ohne zu wissen, was der andere dafür erwartet.«
    Jacks lachte und trank einen Schluck aus dem silbernen Flachmann, den er in der Hosentasche hatte. Er bot ihn mir an, aber ich lehnte ab. »Du hast ja Verfolgungswahn, Mädchen. Kann ich dir nicht mal verübeln, wenn man bedenkt, wie du aufgewachsen bist.«
    »Daddy hat damals zu mir gesagt, er möchte nicht, dass Leo auf irgendeine Weise im Familiengeschäft arbeitet«, sagte ich. Das waren vielleicht nicht seine genauen Worte gewesen, aber ich war überzeugt, dass er es so gemeint hatte.
    Jacks brauchte einen Moment, um diese Information zu verarbeiten. »Big Leo ist schon lange nicht mehr bei uns, Annie. Vielleicht wusste er nicht, was dein Bruder für Fähigkeiten hat, als er sich so äußerte.«
    »Fähigkeiten?«, wiederholte ich. »Was weißt du denn von Leos Fähigkeiten?«
    »Vielleicht bist du zu nah dran, um das zu sehen, aber dein Bruder ist nicht mehr der kleine Junge, der vor vielen Jahren den Unfall hatte. Ihr sperrt ihn den halben Tag mit der alten Dame und den anderen halben Tag in dieser dummen Tierklinik ein.« Jacks wies auf Leo, der mit den aufdringlichen Mädchen tanzte. »Hier blüht er auf. Hin und wieder muss der Junge mal mit an die frische Luft genommen werden.«
    Möglicherweise hatte er recht, aber das erklärte noch immer nicht, was Jacks davon hatte, Leo zu helfen. Ich beschloss, ihn ohne Umschweife darauf anzusprechen. »Und, was hast du davon?«
    »Wie gesagt, ich würde alles für deinen Vater tun.«
    »Mein Vater ist tot«, erinnerte ich ihn. »Leonyds Sohn zu helfen verschafft dir keinerlei Vorteile mehr.«
    »Du bist echt zynisch. Doch, Annie, ich habe etwas davon, deinem Bruder zu helfen. Ich

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