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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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bedeutet das eigentlich genau?«, fragte Win.
    Scarlet schüttelte den Kopf. »Du stellst ganz schön viele Fragen«, sagte sie. Sie zog ihm die Mütze vom Kopf und setzte sie selbst auf. Scarlet tat mir leid, weil sie dasselbe machte, was schon meine kleine Schwester versucht hatte.
    Ich trank einen Schluck Bier und stieß in Gedanken auf meinen Vater an. Nana hatte erzählt, in ihrer Kindheit hätten Jugendliche Ärger bekommen, wenn sie Alkohol tranken, es wäre gesetzlich verboten gewesen. Wir bekamen in jedem Alter Alkohol, solange der Verkäufer die entsprechenden Genehmigungen besaß – Alkohol war nicht schwerer zu besorgen als Eiscreme und deutlich einfacher als, sagen wir mal, ein Stoß Papier. Die Vorstellung, dass sich Menschen einst so viel aus Alkohol gemacht hatten, war ungeheuer seltsam. Vielleicht war das Verbotene ein zusätzlicher Reiz gewesen, ich weiß es nicht. Ich würde lieber jeden Tag Wasser trinken. Alkohol machte mich benommen, wo mein Leben doch von mir verlangte, hellwach zu sein.
    Wir verließen die Theke und gingen zur Tanzfläche. Die Musik war angemessen ohrenbetäubend, an der Decke hingen Stroboskoplichter, doch man spürte noch immer, dass dieser Raum ursprünglich nicht als Nachtclub gebaut worden war. Selbst gefüllt mit tausend Gästen wirkte er durch all den Stein unpassend kühl. Überall standen Marmorsäulen, auf denen aufreizend gekleidete Mädchen tanzten. Wenn man etwas weiter ging, kam man zu einem flachen, aufwendig gefliesten Schwimmbecken, das fast so groß wie ein Ballsaal war, und zu einem Mosaikbrunnen vor einem Wandgemälde, das ein Landhaus am Wasser zeigte. Sowohl Becken als auch Brunnen waren natürlich ausgetrocknet und mussten dringend überholt werden, wozu es aber nie kommen würde. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie es hier ausgesehen haben mochte, als es noch ein Museum war. Irgendwann merkte ich, dass Win neben mir stand. Er hatte den Blick auf das Wandgemälde gerichtet, und ich überlegte, ob er die gleichen Gedanken hatte wie ich.
    »Hört auf zu träumen, ihr beiden!«, rief Scarlet. »Es muss getanzt werden!« Sie nahm erst meine Hand und dann Wins und zog uns in die Mitte der Tanzfläche.
    Eine Weile tanzte Scarlet neben mir, dann schob sie sich näher an Win heran. Ich tanzte mehr oder weniger für mich (wobei ich darauf achtete, die Arme unten zu lassen, um das Loch in meinem Kleid zu verbergen und es nicht versehentlich noch größer zu machen) und beobachtete Scarlet und Win. Scarlet konnte ziemlich gut tanzen. Win eher nicht. Er hüpfte herum wie ein Käfer. Seine Bewegungen waren komisch.
    Er hüpfte zu mir herüber. »Lachst du über mich?«, fragte er, zu meinem Ohr hinuntergebeugt. Die Musik war so laut, dass ich ihn sonst gar nicht verstanden hätte.
    »Nein, wirklich nicht.« Ich überlegte. »Ich lache mit dir.«
    »Aber ich lache ja gar nicht«, sagte er und musste dann doch schmunzeln. »Pass besser auf, dass du deine Arme nicht zu häufig hebst.«
    »Du hast mich ertappt«, sagte ich und reckte den Arm. In dem Moment bemerkte ich eine Person auf der anderen Seite der Tanzfläche, die hier nichts zu suchen hatte: Leo.
    »Du lieber Gott«, murmelte ich und wandte mich an Scarlet. »Leo ist hier. Ich muss mich um ihn kümmern. Kommst du klar?«
    Sie drückte meine Hand. »Geh«, sagte sie.
    Während ich mich an den tanzenden Leibern vorbeischlängelte, versuchte ich mich zu beruhigen und nahm mir vor, mich unauffällig zu benehmen und keine Szene zu machen.
    Als ich Leo schließlich erreichte, war er von einer Horde aufreizend gekleideter Mädchen umgeben, alle älter als ich. Ich war nicht schockiert. Leo sah gut aus, und wenn er mal ausging – was selten war –, hatte er eine volle Brieftasche. Er konnte gar nicht umhin, diesen Typ Frauen anzuziehen. Auch wenn er im Gespräch nicht immer Oberwasser behielt, eine bestimmte Sorte Mädchen würde das gar nicht bemerken, oder es würde sie erst recht nicht stören.
    Ich drängte mich zwischen Leo und eines der Flittchen. »Hey!«, rief sie. »Warte, bis du an der Reihe bist!«
    »Das ist mein Bruder!«, rief ich zurück.
    »Hallo, Annie«, sagte Leo nicht sonderlich überrascht, mich zu sehen.
    »Selber hallo«, gab ich zurück. »Ich dachte, du wolltest heute zu Hause bleiben.«
    »Wollte ich auch«, gab er zu. »Aber kurz nachdem du gegangen warst, kam Jacks vorbei und meinte, wir sollten ausgehen.«
    »Jacks ist hier?«, fragte ich

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