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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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stehe besser da bei den anderen Männern in der Familie. Vielleicht färbt die Verbindung zu deinem Vater auch noch ein bisschen auf mich ab. Ich kann es weiß Gott gebrauchen.«
    Endlich ergab das, was er sagte, einen Sinn. »Na gut.«
    »Braves Mädchen«, sagte Jacks und musterte mich von oben bis unten. »Du bist wirklich überhaupt kein kleines Ding mehr, Cousinchen.«
    »Danke für die Feststellung.« Ich drehte mich um und suchte meinen Bruder. In dem Moment heulte eine Alarmsirene auf. Lichter blitzten, und eine offiziell klingende Stimme dröhnte durch ein Megaphon: »Alle raus hier! Dieses Lokal wird auf Anordnung der Polizei New York und des Gesundheitsamtes New York geschlossen. Alle Gäste verlassen auf der Stelle diese Räumlichkeiten! Wer Widerstand leistet, wird festgenommen!«
    »Da hat wohl jemand vergessen, an der richtigen Stelle zu bezahlen«, sagte Jacks zu mir. »Das war damals anders, als Big Leo noch in New York herrschte.«
    Ich ging den kleinen Leo suchen, konnte ihn aber nirgends finden, und die Menschenmenge begann, mich in Richtung Ausgang zu drücken. Entweder ließ ich mich treiben, oder ich würde niedergetrampelt werden. Ich verlor Jacks aus den Augen, was für mich in Ordnung war, aber Scarlet und Win waren auch nicht zu entdecken.
    Draußen auf der Treppe konnte ich schließlich wieder Luft holen. Ich brauchte einen Moment, um einen klaren Kopf zu bekommen, bevor ich weiter nach Leo suchte. Da tippte mir jemand auf die Schulter. Es war eins der Flittchen, mit denen Leo getanzt hatte. Auf der Straße im Dunkeln sah sie nicht mehr ganz so aufgedonnert aus. »Du bist doch die Schwester, oder?«, fragte sie.
    Ich nickte.
    »Irgendwas stimmt nicht mit deinem Bruder.«

V.
    Ich bereue, ins Little Egypt gegangen zu sein
    Das Mädchen führte mich über die Treppe zur Südseite des Gebäudes, unweit der Stelle, wo Natty kaum vier Tage zuvor überfallen worden war. Mein Bruder lag auf dem Boden und krümmte sich wie ein Insekt unter der Lupe in der Sonne.
    »Was hat er denn?«, fragte sie. Ihre Stimme klang ein wenig angewidert, und ich stieß sie nur deshalb nicht zur Seite, weil sie zumindest so anständig gewesen war, mich herzuholen.
    »Er hat nur einen Anfall«, sagte ich. Ich wollte gerade rufen, ob nicht jemand Leos Kopf halten könne, damit er nicht gegen die harte Marmortreppe schlug, da merkte ich, dass das bereits jemand tat.
    Win hielt Leos Kopf im Schoß. »Ich weiß, das ist nicht ideal so«, sagte er, als er mich sah. »Aber wir haben ihn so schnell nicht in eine ungefährlichere Ecke bekommen, und ich wollte nicht, dass er sich den Kopf einschlägt.«
    »Danke«, sagte ich.
    »Scarlet hat ihn entdeckt«, erklärte mir Win. »Sie sucht dich gerade.«
    Ich dankte ihm erneut.
    Dann nahm ich die Hand meines Bruders und drückte sie. »Ich bin da«, sagte ich und sah ihm in die Augen. Die Zuckungen hatten nachgelassen, es war vorbei. Seit dem Unfall hatte Leo immer mal wieder solche Anfälle gehabt, auch wenn der letzte schon länger zurücklag. Ich nahm an, dass diesmal die blitzenden Lichter oder die laute Musik der Auslöser gewesen waren. »Es ist alles gut.«
    Leo nickte, wirkte aber nicht überzeugt.
    »Kannst du laufen?«, fragte Win ihn.
    »Ja«, antwortete Leo. »Glaub schon.«
    Win half ihm auf die Beine. »Ich bin Win«, stellte er sich vor. »Ich gehe mit Anya zur Schule.«
    »Leo.«
    Scarlet kam zu uns. »O Gott, Annie, ich hab dich überall gesucht! Bin ich froh, dass du uns gefunden hast!« Sie warf die Arme um Leo. »Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht«, sagte sie zu ihm. Ihr standen Tränen in den Augen.
    »Schon gut. Geht schon wieder«, beruhigte Leo sie. Ich merkte, dass er sich schämte, weil Scarlet ihn so gesehen hatte. »War nichts.«
    »Na, das sah aber gar nicht nach nichts aus«, gab Scarlet zurück. »Armer Leo.«
    »Wir gehen besser«, sagte Win.
    Er hatte recht. Es wimmelte nur so vor Polizisten, und bald trat die Sperrstunde in Kraft. Wir machten uns schnell auf den Weg.
    Leos Gang war leicht unsicher, so dass Scarlet sich auf der einen Seite bei ihm unterhakte, Win auf der anderen. Ich blieb hinter ihnen. Das aufgetakelte Mädchen war nirgends zu sehen. Jacks ebenso wenig.

    Unsere kleine Karawane kam nur langsam und unsicher voran; der Weg zurück zu unserer Wohnung dauerte erheblich länger als der Hinweg. Als wir endlich unser Apartment erreichten, hatte die Ausgangssperre bereits eingesetzt. Win musste seine Eltern anrufen und ihnen

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