Bitterzart
die Pfanne. »Du musst mir versprechen, dass du niemandem davon erzählst. Weder Nana noch Leo oder Scarlet oder sonst wem!«
»Ich mochte ihn direkt, als ich ihn kennenlernte«, sagte Natty glücklich. »Wie war das, ihn zu küssen?«
»Woher willst du wissen, dass ich ihn geküsst habe?«
»Weiß ich eben«, sagte sie. »Du siehst ganz rosa aus und … und geküsst. Du musst es mir erzählen! Seine Lippen sehen so weich aus.«
Ich lachte. »Es war gut, in Ordnung?«
»Das ist keine richtige Beschreibung«, sagte Natty.
»Na, mehr bekommst du aber nicht von mir.« Als ich ihr das Rührei vorsetzte, bemerkte ich einen blauen Fleck an ihrem rechten Unterarm. »Was ist das denn?«
»Ach«, sagte sie, »keine Ahnung. Hab mich wahrscheinlich im Bett gestoßen.«
»Tut es weh?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hatte einen Albtraum, aber nur einen kleinen. Ich musste dich nicht mal wecken. Kann sein, dass ich gegen die Wand geschlagen habe. Wann wirst du Win wiedersehen?«
»Vielleicht nie. Vielleicht ruft er nie wieder an. Jungen tun manchmal so, als würden sie einen mögen, und rufen dann nie wieder an, Natty.«
In dem Moment klingelte unser Telefon. Es war Win.
»Du bist aber schnell nach Hause gekommen«, sagte ich.
»Bin gelaufen«, erklärte er. »Ich wollte mit dir reden, bevor du deine Meinung über uns änderst. Können wir uns heute Abend treffen?«
Ein Teil von mir dachte, es wäre vielleicht keine gute Idee, ihn so schnell wiederzusehen, aber dieser Teil blieb erstaunlich stumm. »Ja«, sagte ich. »Komm heute Abend vorbei.«
»Ich möchte mit dir ausgehen«, sagte er.
»Wohin?«
»Das wird eine Überraschung.«
Ich sagte ihm nochmals, dass ich es besser fände, unsere Beziehung vorerst geheim zu halten.
»Stimmt, bin ganz deiner Meinung«, sagte er. »Aber du musst dir keine Sorgen machen. Da, wohin ich mit dir gehe, wird uns niemand kennen.«
Wir fuhren mit der U-Bahn zur letzten Haltestelle in Brooklyn: Coney Island. Als wir aus dem Zug stiegen, erblickten wir eine verwitterte Holzpromenade und eine unheilvolle Ansammlung ausgedienter Karussells, die wie bunte Spinnen aussahen.
»Ah, das kenne ich hier!«, rief ich. In dem Sommer, bevor der Vergnügungspark von der Stadt geschlossen wurde, waren meine Eltern mit Leo und mir hier gewesen. (Hatte irgendwas mit dem Ausbruch einer Infektion zu tun gehabt. Vielleicht war es auch um Fragen der Energieversorgung gegangen. Ich war zu klein gewesen, um mich daran erinnern zu können.) »Aber jetzt läuft nichts mehr.«
»Bis auf eine kleine Ausnahme«, sagte er und nahm meine Hand. Er führte mich über die Holzplanken. In der Ferne hörte ich Stimmen und sah, dass das kleine Riesenrad für Kinder beleuchtet war.
»Das wurde letzte Woche der Staatsanwaltschaft gemeldet«, sagte Win. »Die Leute hier haben einen Generator gebaut und dadurch genug Strom, um jeden Samstag ein anderes Karussell fahren zu lassen. Meinem Vater sind die Dinger egal. Die Stadt hat größere Probleme und so weiter. Du kennst seine Wahlkampfrede.«
»Ja. Leider. Aber ich würde schon sagen, dass er auf mich den Eindruck machte, wirklich etwas verändern zu wollen.«
»Das Einzige, was er will, ist Karriere machen.«
Der Betreiber begrüßte uns. »Ich muss euch nur warnen, dass dieses Fahrgeschäft nicht überprüft wurde und ihr darin – ein besseres Wort weiß ich nicht – sterben könntet.«
Win sah mich an. Ich zuckte mit den Schultern.
»Solange ihr es wisst«, wiederholte der Betreiber.
»Keine schlechte Art zu sterben«, meinte Win, und ich stimmte ihm zu.
Win bezahlte, und wir stiegen in das Riesenrad. Ich war noch nie in einem gewesen. Wir setzten uns nebeneinander. Es war ganz schön eng, da die Gondeln ursprünglich für Kinder gedacht gewesen waren, und auch wenn ich relativ zierlich bin, habe ich einen ganz ordentlichen Hintern. Mir war peinlich, wie sich meine Hüfte gegen Win drückte, doch er legte mir den Arm um die Schultern, um mehr Platz zu schaffen, und ich dachte nicht länger über meinen Po nach.
Es war irgendwie friedvoll im Riesenrad. Bis es losging, dauerte es ewig, weil der Betreiber so lange wartete, bis alle Plätze besetzt waren. Die Novemberluft war kühl, aus der Ferne roch ich etwas Brennendes. Win hatte Rasierwasser aufgelegt, es war minzig, aber nicht kräftig genug, um den Brandgeruch zu überspielen.
Mir war nicht besonders nach Unterhaltung, und Win schien das zu verstehen.
Irgendwann gelangten wir an den höchsten
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