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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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»Annie.«
    »Fernbeziehungen«, sagte Chai zu mir. »Pff! Die halten doch nie.«
    »Keine Ahnung«, murmelte ich. Dann nahm ich meine Bücher und stürzte aus dem Speisesaal. Ich lief den Gang hinunter in die Richtung von Wins Unterrichtsraum in der sechsten Stunde, Englisch. Ich wusste, dass ich dadurch möglicherweise selbst zu spät kommen würde, denn ich hatte meine nächste Stunde bei Beery im Theaterraum, wo wir das Stück probten. Ich tippte Win auf die Schulter und fing ihn gerade noch rechtzeitig ab. »Entschuldige«, sagte ich. »Kann ich dich mal kurz sprechen?«
    Er nickte, ich führte ihn in eine Abstellkammer neben dem Theaterraum und küsste ihn. Küsste klingt viel zahmer, als es tatsächlich war. Ich presste meinen Körper an seinen, schob ihm die Zunge in den Mund, so tief es ging, schlang die Arme um ihn. »Ich hab es satt, das geheim zu halten«, sagte ich.
    »Ich weiß«, stimmte er zu. »Aber du hast gesagt, dass es sein muss.«
    Als wir die Kammer verließen, waren die Gänge leer. Die sechste Stunde hatte bereits begonnen.
    Die Tür zum Theaterraum schwang auf, und Scarlet kam heraus.
    »Oh, hey«, sagte sie. »Wo kommt ihr denn her?« Sie wirkte leicht abwesend, was ich auf die nahende Premiere zurückführte.
    »Wir waren da drin«, erwiderte Win und zeigte auf die Abstellkammer. Der Gang hatte ein totes Ende, es gab also eigentlich keinen anderen Ort, an dem wir hätten gewesen sein können.
    »Was wolltet ihr denn da?«, fragte Scarlet. Sie wirkte nicht argwöhnisch, nur neugierig.
    »Annie wollte ihren Text noch mal durchgehen, und es war der einzige Fleck, wo wir ungestört sein konnten«, log Win. Wow, dachte ich, das kann er ziemlich gut. Allerdings konnte ich mir problemlos verschiedene Situationen vorstellen, in denen Win gezwungen wäre, einen Vater wie Charles Delacroix anzulügen.
    »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du dir deinen Text schlecht merken kannst? Ich wäre ihn noch mal mit dir durchgegangen«, sagte Scarlet.
    »Nein, du bist mit deiner Hauptrolle beschäftigt. Ich bin nur eine Hexe. Ich wollte dich nicht belästigen.« Ich war selbst nicht schlecht im Lügen.
    »Die Oberhexe«, verbesserte mich Scarlet. »Ich bin so stolz auf dich, Annie! Ich könnte platzen!« Sie war wirklich stolz auf mich, das spürte ich, und aus irgendeinem Grund hätte ich deswegen fast weinen können. Zwar hatte ich trotz meiner ungewöhnlichen Lebensumstände nie zu wenig Liebe bekommen – meine Schwester liebte mich, mein Bruder liebte mich, Nana liebte mich. Es sah sogar so aus, als ob dieser Junge, dieser Goodwin Delacroix, mich liebte –, aber wer war denn stolz auf mich? Ich war nicht daran gewöhnt, dass jemand Stolz für mich empfand. So gut wie jeder, der auf mich hätte stolz sein können, war vor langer Zeit gestorben.

    Ich sollte noch ein, zwei Sätze über das Theaterstück verlieren. Es war eine Schulaufführung, vielleicht etwas besser als die meisten, weil Mr. Beery viel Zeit und Mühe aufgewendet hatte, damit wir keine schreckliche Vorstellung ablieferten, und weil die Schule, wie schon erwähnt, über viel Geld verfügte. Scarlet war die beste. (Wahrscheinlich rechnet man damit, dass ich das sage, aber an der Tatsache ist nun mal nicht zu rütteln.) Und meine Rolle? Das Beste, was ich über mich sagen kann, ist, dass ich die einzige Hexe war, die keine Perücke aufsetzen musste. Meine dunklen Locken galten als hexenhaft genug, und rückblickend bin ich mir nicht sicher, ob mein Haar wirklich der einzige Grund war, warum ich die Rolle der Hekate bekam.

XIII.
    Ich halte mich an eine Verpflichtung, übergehe aber andere und posiere für ein Bild
    In den Weihnachtsferien fuhren Win und ich mit dem Zug nach Albany, um Gable Arsley in der Reha zu besuchen. Ich hatte zu Win gesagt, es wäre auch in Ordnung für mich, allein zu reisen, weil es für meinen neuen heimlichen Freund seltsam wirken könnte, mich zu einem Besuch bei meinem ernsthaft verletzten Exfreund zu begleiten. Win gab zurück, er kenne sich in Albany besser aus als ich, und ich gab nach. Egal. Es war eine lange Zugfahrt, und der flache, trübe Hudson sorgte auch nicht gerade für eine großartige Aussicht.
    Heiligabend hatte Gable mir eine Nachricht geschickt, in der er mich gebeten hatte zu kommen. Ich nehme an, Weihnachten hatte ihn nachdenklich gemacht, oder er fühlte sich vielleicht einsam. Er schrieb, er hätte viel Zeit zum Nachdenken gehabt, seit er erkrankt sei, und er wüsste, dass er sich mir

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