Bitterzart
mir?«
Da hatte er nicht ganz unrecht. »Du scheinst dir ja ganz sicher zu sein.«
»Allerdings.« Dann lachte Win. »Ich bin enttäuscht! Willst du nicht mal versuchen, mich doch zu überreden? Willst du nicht versuchen, mir ein Angebot zu machen, das ich nicht ablehnen kann?«
»Es wird nicht gerade nett werden, ich habe selbst ja kaum Lust hinzugehen.«
»So willst du mich umstimmen?«
»Meine Verwandtschaft ist eine Schlägertruppe«, fuhr ich fort. »Irgendein Cousin wird sich wahrscheinlich hemmungslos besaufen und am Ende versuchen, mir an den Busen zu grabschen. Ich hoffe nur, dass das keiner bei Natty versucht, sonst werde ich ernst machen müssen.«
»Ich komme mit«, sagte Win. »Aber zuerst möchte ich eure Schokolade probieren.«
»Ist das deine Bedingung?«
»Schokolade ist schließlich euer Geschäft, oder? Ich kann nicht zu dieser Hochzeit gehen, ohne gut informiert zu sein, oder?«
»Geschickt gemacht, Win.« Ich stand auf. »Komm mit!«
Ich stellte Reismilch zum Erwärmen auf den Herd, holte den Riegel aus der Tasche und überprüfte das Herstelldatum, um mich zu vergewissern, dass er nicht vom letzten Herbst war. Ich wickelte ihn aus der silbernen Verpackung und roch daran (Konnte man Fretoxin überhaupt riechen?). Sobald die Milch kochte, stellte ich die Flamme kleiner, gab ein wenig Vanille und Zucker hinzu und rührte, bis sich der Zucker auflöste. Ich hackte die Schokolade in kleine Stücke, gab sie in die heiße Milch und rührte weiter, bis sie mehr oder weniger geschmolzen waren. Schließlich schöpfte ich die Mischung in zwei Tassen und streute Zimt darüber. Bei Daddy hatte das immer so einfach ausgesehen.
Eine Tasse stellte ich vor Win. Er wollte sie in die Hand nehmen, doch ich zog sie zurück. »Deine letzte Chance, es dir anders zu überlegen.«
Er schüttelte den Kopf.
»Hast du keine Angst, wie Gable Arsley zu enden?«
»Nein.« Er trank gleichmäßig, bis die Tasse leer war. Dann stellte er sie ab, sagte aber nichts.
»Und?«, fragte ich.
»Du hast recht. Ist auf jeden Fall anders als das, was ich mal probiert habe.«
»Aber hat es dir geschmeckt?«
»Weiß nicht genau«, sagte er. »Gib mir mal deine.«
Ich schob ihm meine Tasse zu. Nun trank er langsamer, fast besinnlich. »Ist anders, als ich erwartet habe. Jedenfalls nicht süß. Es ist zu gehaltvoll, als dass man es süß nennen könnte. Wahrscheinlich ist es nicht jedermanns Geschmack, doch je mehr ich davon trinke, desto besser schmeckt es mir. Ich kann verstehen, warum es verboten ist. Es ist sehr … berauschend.«
Ich ging um den Tisch herum zu ihm und setzte mich auf seinen Schoß. Dann küsste ich ihn. Ich fuhr ihm mit der Zunge über die Lippen, konnte den Zimt schmecken. »Hast du dich schon mal gefragt, ob du mich nur deshalb magst, weil du damit deinen Vater ärgern kannst?«, fragte ich.
»Nein«, sagte er. »Nein, du bist die Einzige, die auf solche Gedanken kommt. Ich mag dich, weil du mutig und viel zu gehaltvoll bist, um je süß genannt zu werden.«
Es war eine alberne Bemerkung, und dennoch spürte ich, wie mir von innen warm wurde. Wahrscheinlich bekam ich ein rotes Gesicht. Am liebsten hätte ich meinen Pulli ausgezogen. Und noch ein paar Sachen mehr. Ich wollte ihm seine Kleidung ausziehen.
Ich wollte ihn.
Ich wollte ihn, aber konnte nicht.
Ich stand auf. Obwohl es drückend heiß in der Küche war, schnallte ich den Gürtel um meine Wollstrickjacke enger. Ich schob die Ärmel hoch und ging zur Spüle. Dann fing ich an, den Topf zu waschen, in dem ich die Milch erhitzt hatte. Bestimmt verschwendete ich dreimal so viel Wasser, wie nötig gewesen wäre, aber ich musste mich einfach wieder in den Griff bekommen.
Win trat hinter mich und legte mir die Hand auf die Schulter. Ich fuhr zusammen, immer noch überdreht. »Was ist, Annie?«, fragte er.
»Ich will nicht in die Hölle«, sagte ich.
»Ich auch nicht«, erwiderte er. »Ich will auch nicht, dass du dahin gehst.«
»Aber in letzter Zeit, wenn ich mit dir zusammen bin … dann merke ich, dass ich über Dinge nachdenke. Dabei kennen wir uns noch gar nicht so lange, Win.«
Er nickte und nahm das Geschirrtuch, das über dem Griff der Herdklappe hing. »Komm, ich trockne ab«, sage er.
Ich reichte ihm den Topf. Ohne Topf fühlte ich mich noch verletzlicher. Mir fehlte eine Waffe.
»Anya, ich will dich nicht anlügen. Ich würde wirklich gerne mit dir schlafen. Ich denke darüber nach. Über die Möglichkeit, meine ich. Ich denke
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