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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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Jemand war bestochen worden). Das Brautkleid war zu weit in der Taille, doch der Schleier war kunstvoll bestickt und sah sogar neu aus. Die Braut hieß Sophia Bitter, und ich wusste nichts über sie. Es ist eine gemeine Bemerkung, aber was ihr Aussehen anging, fiel sie nur wegen ihrer Schlichtheit auf.
    Sie hatte schlaffes braunes Haar, eine lange, pferdeähnliche Nase und konnte nicht viel älter als ich sein. Als sie ihr Ja-Wort gab, war ein leichter Akzent zu hören. Ihre Mutter und ihre Schwestern heulten während der gesamten Zeremonie.
    Natty saß mit unseren Cousins und Cousinen am Kindertisch. Leos Platz war inmitten mehrerer Kollegen vom Pool, die mit ihren Ehefrauen oder Freundinnen gekommen waren. Win und ich saßen an einem buntgemischten Tisch – keine Verwandten, keine Kinder, nur Gäste, die nirgends sonst hinpassten.
    Win holte uns Getränke, und da ich die Schuhe meiner Mutter trug – anderthalb Nummern zu klein für meine abartig großen Füße mit Größe 41 –, blieb ich sitzen. Ein Mann winkte mir von der anderen Seite zu, ich winkte zurück, obwohl ich nicht wusste, wer er war. Er war ein Asiate, ungefähr Mitte zwanzig. Wahrscheinlich gehörte er zu irgendeiner Schokoladendynastie.
    Er kam um den Tisch herum und setzte sich zu mir. Mit seinem längeren schwarzen Haar, das ihm ständig in die Augen fiel, sah er sehr gut aus. Er sprach Englisch mit einem leichten britischen Akzent, obwohl er kein Brite war. »Du kennst mich nicht mehr, oder? Ich habe deine Schwester und dich kennengelernt, als ihr noch Kinder wart. Euer Vater hatte einen Termin mit meinem Vater in unserem Landhaus in Kyoto. Ich habe euch durch den Garten geführt. Dir hat meine Katze gefallen.«
    »Schneeflöckchen«, sagte ich. »Und du bist Yuji Ono. Sicher erinnere ich mich an dich.« Yuji gab mir die Hand. Ihm fehlte der rechte kleine Finger, die übrigen Finger waren lang und sehr kalt. »Du hast Hände wie Eis.«
    »Du kennst ja das Sprichwort: Kalte Hände, warmes Herz«, sagte Yuji. »Oder war das andersrum?«
    In dem Sommer bevor ich neun wurde, der Sommer, bevor mein Vater starb, hatte er uns mit auf eine Geschäftsreise nach Japan genommen. (Damals waren internationale Reisen noch nicht so kompliziert; sie kosteten weniger, und die Angst vor Krankheiten war nicht so groß.) Daddy fand es sehr vorteilhaft für junge Menschen, viel zu reisen, und wollte uns nach dem Mord an meiner Mutter auch nicht allein lassen. Unter den Leuten, die wir besuchten, war auch Yuji Onos Vater, Inhaber der Ono Sweets Company und mächtigster Schokoladenhändler Asiens. Nebenbei bemerkt, war ich unglaublich verknallt in Yuji Ono gewesen, obwohl er sieben Jahre älter war als ich. Damals fünfzehn; jetzt, rechnete ich nach, dreiundzwanzig.
    »Wie geht’s deinem Vater?«, fragte ich.
    »Er ist verschieden.« Yuji senkte den Blick.
    »Das tut mir leid. Davon hatte ich nichts gehört.«
    »Tja. Es war sehr tragisch, auch wenn er nicht ermordet wurde wie dein Vater. Gehirntumor«, sagte Yuji. »Offenbar beobachtest du diese Entwicklungen nicht so genau, Anya, deshalb sage ich es besser: Ich bin jetzt der Inhaber von Ono Sweets.«
    »Glückwunsch«, erwiderte ich, auch wenn ich überhaupt nicht wusste, ob das die richtige Bemerkung war.
    »Ja, ich musste in sehr kurzer Zeit sehr viel lernen. Aber ich hatte mehr Glück als du. Mein Vater lebte noch und konnte es mir beibringen.« Yuji lächelte mich an. Er hatte ein einnehmendes Lächeln. Zwischen den Vorderzähnen hatte er eine ganz kleine Lücke, die ihn jungenhafter erscheinen ließ, als er war.
    »Du hast einen weiten Weg zurückgelegt für eine Hochzeit des Balanchine-Clans«, bemerkte ich.
    »Ich hatte hier zu tun, außerdem bin ich mit der Braut befreundet«, sagt er und wechselte dann das Thema. »Tanz mit mir, Anya.«
    Ich schaute hinüber zur Schlange vor der Theke – Win hatte sich ungefähr bis zur Hälfte vorgearbeitet. »Ich bin in Begleitung hier«, sagte ich.
    Yuji lachte. »Nein, so meinte ich das nicht. Ich bin selbst so gut wie verheiratet, und du bist viel zu jung für mich. Entschuldige, aber für mich bist du immer noch das kleine Mädchen von damals, ich hege beinahe Vatergefühle für dich. Und ich glaube, mein Vater würde wollen, dass ich mit dir tanze. Dein Freund hat bestimmt nichts gegen alte Freunde wie mich.« Yuji hielt mir die Hand hin, ich ergriff sie.
    Obwohl ich keinerlei zärtliche Gefühle für Yuji empfand, war es auch keine Strafe, mit ihm zu tanzen. Er

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