BKA - Die Jaeger des Boesen
täglichen Praxis begegnen könnten.
Ein Kinderarzt in Nordrhein-Westfalen hat schon vor Jahren versucht, ein Frühwarnsystem unter Kollegen aufzubauen, damit auch jene Väter und Mütter aktenkundig werden, die immer wieder die Ärzte wechseln, damit die regelmäßigen Verletzungen ihrer Kinder nicht auffallen. Aber er ist von seinen Standesgenossen mit dem Hinweis, er solle sich um seine eigene Praxis kümmern, gestoppt worden. Nun kämpft er wieder alleine. Er weiß, dass sogar beim »Fehlen von Symptomen ein Missbrauch nicht auszuschließen ist«, was viele Rechtsmediziner bestätigen, denn auch das gehört zum Dunkelfeld. Dragana Seifert dagegen verteidigt die Ärzte: »Kinderärzte müssen unter allen Umständen Vertrauenspersonen bleiben. Sie müssen sozusagen die Guten bleiben. Und wenn ihnen etwas auffällt, können sie sich an uns wenden. Wäre es anders, würden wir gar nichts mehr erfahren.«
Opfer verzichten oft schon auf eine Anzeige, sobald geklärt ist, dass der Täter aus ihrem Umkreis verschwindet, sie künftig von ihm nichts mehr zu befürchten haben, sie sind dann nicht mehr bereit, vor der Polizei eine Aussage zu machen. Und ohne ihre Aussage kann die nur dann etwas unternehmen, wenn es Zeugen gibt. Mütter zum Beispiel. Viele schämen sich, weil sie mitschuldig sind, weil sie lange zu dem geschwiegen haben, was sich vor ihren Augen abspielte. Sie wollten ihren Partner nicht verlieren – und verloren deswegen ihr Kind.
Coole Kinder des Internet melden sich per E-Mail bei »Dunkelziffer«. Die Berater in Hamburg erteilen Ratschläge, an wen sie sich bei verdächtigen virtuellen Annäherungen wenden können – Eltern, Lehrer, Polizei. Vera Falck: »Wir tun nur das, was wir verantworten können, wir können nur raten, nicht aufdecken. Falls uns jemand einen Hinweis gibt auf Kinderpornografie im Internet,
geben wir den ans Bundeskriminalamt oder ans Landeskriminalamt weiter, aber wir recherchieren nicht selbst.«
Zwar ist »Dunkelziffer« ein anerkannter Opferverein, bewundert und gelobt, unterstützt von Prominenten, aber seine immer wieder vorgetragene Bitte, in den großen weihnachtlichen TV-Spendenmarathons auftauchen zu dürfen, wenn dort Geld für Hilfsorganisationen aller Art gesammelt wird, wurde bisher stets abgelehnt. Man möchte, sagen die Verantwortlichen, quotenträchtigere Anlässe, um Gutes zu tun. Wenigstens wird der Verein hin und wieder bedacht, sobald an gemeinnützige Organisationen von Staats wegen Bußgelder, die bei Steuerstraftaten anfallen, verteilt werden.
Es war übrigens jener Mann, der einst Klaus Meyer-Andersen im Flugzeug den Scheck über 100 000 Mark ausstellte, Modemacher Wolfgang Joop, der in einer populären ARD-Talkshow den Verein vor Millionen von Zuschauern erwähnte und damit vielen Opfern zum ersten Mal eine greifbare Adresse für ihre Probleme gab. In der Sendung ging es um den belgischen Kinderschänder Marc Dutroux, der kleine Mädchen missbraucht und im Keller seines Hauses eingesperrt hatte, dort verhungern ließ, bevor er aufflog. Was in Belgien passiert war, schreckte europaweit die Menschen auf. Das Nachbarland wehrte sich gegen den Pauschalvorwurf, ein Biotop der Kinderschänder zu sein, nachdem bekannt geworden war, dass angesehene Bürger aus der Oberschicht in pädophilen Männerbünden ihre Triebe auslebten. Dreihundertfünfzigtausend Menschen machten sich in Brüssel zur größten Demonstration in der Geschichte des Landes auf, dem »Marche Blanche«, dem Weißen Marsch, um sich schweigend mit den kindlichen Opfern zu solidarisieren und um so gegen das Versagen ihrer Polizei und ihrer Justiz zu protestieren.
Dutroux war früher schon einmal von einer blinden, faulen, verrotteten Justiz aus Mangel an Beweisen auf freien Fuß gesetzt worden und hatte, kaum freigelassen, die nächsten schrecklichen Missbrauchstaten begangen. Als danach wegen eines Verdachts auf Autodiebstahl mal sein Grundstück und sein Haus durchsucht
wurden, haben zwei seiner achtjährigen Opfer, die in ihren Verliesen vergewaltigt und dabei gefilmt worden waren, noch gelebt. Man hätte sie retten können. Ein Polizist gab vor Gericht zwar an, Kinderstimmen gehört zu haben. Doch die schienen ihm von der Straße zu kommen, also kümmerte er sich nicht darum. Eine Mitschuld am Tod der beiden Achtjährigen konnte er bei sich nicht entdecken. Dutroux, dem kurzfristig trotz strengster Bewachung gar die Flucht gelang, woraufhin niemand mehr an eine Einzeltäterschaft oder an
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