BKA - Die Jaeger des Boesen
Zufall glauben wollte, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Der nie bestätigte, aber auch nie widerlegte Verdacht, dass er im Auftrag von pädosexuellen »ehrenwerten« Bürgern gehandelt hatte, gewann Auftrieb, nachdem während der über Jahre andauernden Gerichtsverhandlung nicht nur der anfangs ermittelnde Staatsanwalt Selbstmord begangen hatte, sondern siebenundzwanzig (!) Zeugen verstorben waren, von denen manche unter höchst merkwürdigen Umständen bei Autounfällen ums Leben kamen.
In Ländern, wo Gewalt von der Gesellschaft als alltägliches Phänomen hingenommen wird, trifft es Kinder besonders hart. Jedes dritte Mädchen, so eine Studie des türkischen Soziologenverbandes, wird im Laufe seiner Kindheit in der Türkei Opfer physischer oder sexueller Gewalt. In der Provinzstadt Siirt ganz im Südosten der Türkei wurden vier Schülerinnen, alle aus armen Familien stammend, viele Jahre lang regelmäßig von angesehenen Bürgern vergewaltigt. Auch der stellvertretende Schulleiter gehörte zu dieser perversen Bande. Die Mädchen schwiegen nicht aus Scham, sondern aus Angst. Ihre Vergewaltiger bedrohten sie mit dem Tod, sollten sie über das reden, was mit ihnen geschah. Der Skandal wurde erst aufgedeckt, als sich eines der Mädchen verzweifelt endlich doch einer Lehrerin anvertraute und daraufhin die auflagenstarke Zeitung »Hürriyet« ihre Geschichte veröffentlichte. Die zutiefst gestörten Opfer wurden zur Behandlung in eine andere Stadt gebracht, um sie vor Racheakten ihrer Peiniger zu schützen.
Noch entsetzlicher, was in der Nähe von Siirt passierte, in Pervari.
In einem staatlichen Heim für Dorfkinder hatten dreizehnjährige Schüler ein Mädchen aus ihrer Klasse nackt fotografiert und dann gedroht, diese Fotos ins Internet zu stellen, wenn sie ihnen nicht ihre beiden Cousins übergeben würde. Sie gehorchte. Der Junge war zwei Jahre alt, seine Schwester drei. Beide wurden von den kindlichen Kinderschändern vergewaltigt. Das kleine Mädchen ertränkten sie danach in einem Fluss, den kleinen Jungen warfen sie nach Gebrauch in einen Wald, weil sie ihn für tot hielten. Er wurde zufällig gefunden und überlebte. Die Polizei ermittelte und informierte die Öffentlichkeit. Der Bürgermeister des Ortes erklärte den daraufhin anreisenden Journalisten, es gebe nichts zu berichten, er habe dafür gesorgt, dass »die Sache unter uns geregelt« wird.
So etwas kann doch nur weit weg von uns passieren. Das kommt doch nicht in Deutschland, sondern nur in archaischen, fast mittelalterlichen Gesellschaften vor – »hinten, weit, in der Türkei«. Oder nicht?
Oder nicht.
Sophie war drei, als sie vom Freund ihrer Mutter so brutal vergewaltigt wurde, dass sie mit schwersten Verletzungen wochenlang im Krankenhaus behandelt werden musste. Die Ärzte heilten ihre äußerlichen Wunden. Um ihre inneren kümmerten sich danach die Therapeuten von »Dunkelziffer«. Sophie ist inzwischen sieben Jahre alt. Als sie zur ersten Therapiestunde kam, begann die Behandlung mit einem kindgerechten Spiel. In dem gab es eine gut befestigte Ritterburg, es gab auf den Wallanlagen gut bewaffnete Ritter. Die passten nicht darauf auf, ob ein Feind von außen drohte, sondern die bewachten das Böse, das im Hof der Burg lag. Symbolisiert durch einen Haifisch aus Plastik mit weit aufgerissenem Maul. Sophie verband es mit Mull und verklebte es mit einem Pflaster. Danach prüfte sie vor jeder weiteren Therapiestunde nach, ob die Fesselung noch fest saß. Erst dann war sie sicher, der konnte ihr nichts mehr tun. Das kindgerechte Spiel gab dem Kind Kraft. Sophie ist heute stark genug, auch ohne diese symbolische Geste mit ihrem Trauma leben zu können. Der Täter
wurde zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt. Auch er kann ihr nichts mehr tun.
Viele Kinder aber, denen Ähnliches widerfahren ist wie ihr, leiden unter Panikattacken, sobald ihre Vergewaltiger entlassen werden. Härtere Strafen würden nicht nur abschreckend wirken, sie würden auch den Opfern die nötige Zeit geben, ihre »Haifische« zu besiegen. Ich frage die Therapeutin, was ich auch Beamte im Bundeskriminalamt gefragt habe, die sich mit Kinderpornografie in all ihren schrecklichen Auswirkungen beschäftigen müssen auf der Suche nach den Tätern: Wie hält man das bloß aus? Carmen Kerger-Ladleif, die Diplompädagogin, hält für wichtig zu spüren, dass es denen, die zu ihr kommen, nach dem Gespräch besser geht, aber sie zieht bewusst Grenzen: »Ich muss mich ebenso um
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