BKA - Die Jaeger des Boesen

sexuellen Übergriffe auf Kinder von Fremden begangen wird, in fünfundsiebzig Prozent aller Fälle die Täter jedoch
zur Familie gehören oder zum Freundes- und Bekanntenkreis. Oder dass es ein Partner der Mutter ist und manchmal gar die Mutter selbst.
    Nicht nur die Opfer werden immer jünger, auch die Täter. Bei einem der Seminare, die »Dunkelziffer« drei-, viermal pro Jahr organisiert und aus seinem Spendenaufkommen finanziert, berichtete eine Kriminalbeamtin aus ihrem Alltag. Geschehen ist der Fall nicht in irgendeiner Großstadt, sondern auf dem Land. Eine Gruppe von vierzehnjährigen Schülern hat eine Neunjährige vergewaltigt. Den Fachbegriff für eine solche Tat – »Gang Banging«, zusammengesetzt aus »Gang« und dem, was eine Gang mit ihren Opfern anstellt, denn »to bang« bedeutet in der Vulgärsprache der englischen Unterschicht, wo der Begriff geboren wurde, so viel wie »vögeln« – kannte die Polizistin. Aber es ist etwas ganz anderes, sich in der Theorie auszukennen, als dann plötzlich mit der brutalen Wirklichkeit konfrontiert zu werden.
    In diesen Seminaren tauschen sich Beamte aus, die mit dieser Wirklichkeit in allen Auswirkungen beruflich täglich zu tun haben – Fachleute von den Landeskriminalämtern und vom Bundeskriminalamt. Polizisten sind die ersten Ansprechpartner, sobald endlich eine Anzeige erstattet wird, sie müssen sich bei den stets ja heiklen Fragen zur Tat kindgerecht verhalten können, um nicht neue Wunden aufzureißen, sie müssen äußerst vorsichtig und einfühlsam hinterfragen, sie müssen ausgebildet sein für Ermittlungen bei Kindesmissbrauch. Das können inzwischen viele. Die Befragung von Kindern findet statt in hellen Räumen mit bunten Vorhängen. Tisch in der Mitte, darauf Malstifte und Papier, Spielzeug, Stofftiere. Hinter einem Einwegspiegel verfolgen Therapeuten den Ablauf des Gesprächs.
    Bei Behörden hat sich zudem die Erkenntnis durchgesetzt, dass man bei Fortbildungskursen nicht nur erfährt, was im Dunkelfeld Kindesmissbrauch alles passiert, sondern auch von Kollegen hört, worauf die bereits bei ihrer Arbeit gestoßen sind. Das hilft denen, die sich mit sexuellem Kindesmissbrauch bisher nur theoretisch aufgrund entsprechender Paragrafen des Strafgesetzbuches
auskannten. Insgesamt haben in den vergangenen Jahren mehr als tausend Kriminalkommissare, Justizbeamte, Sozialarbeiter die Seminare von »Dunkelziffer« besucht.
    Es referieren bei solchen Tagungen auch Staatsanwälte, die im Namen des Volkes die Anklage vertreten haben, und informieren die Zuhörer über die rechtlichen Grundlagen ihrer Einsätze bei der Jagd nach den Tätern, die ja oft genug nur virtuell existieren. Das Bundeskriminalamt hat vor Jahren wieder mal seinen Ruf gewahrt, technisch gesehen die beste Behörde der Welt zu sein, als es den Experten aus Wiesbaden gelang, das von ihm unkenntlich gemachte Gesicht eines kanadischen Kinderschänders, der sich bei seinen Taten gefilmt und die Filme ins Internet gestellt hatte, so kenntlich zu machen, dass die Identität des Mannes ermittelt wurde. Er stellte sich. Es treten deshalb bei »Dunkelziffer« auch die besten Experten des Bundeskriminalamtes fürs Internet auf, die dann über die neuesten technischen Tricks der Päderasten informieren und darüber, wie man diese am besten mit eigenen Mitteln aushebeln kann.
    Früher blieben die Profis lieber unter sich, aber inzwischen wollen sie selbstverständlich erfahren, was ihnen umgekehrt die Berater von »Dunkelziffer« berichten. Anfangs gab es, nicht so sehr bei den LKAs, mehr beim BKA, Bedenken gegen die Fortbildungs- und Informationsseminare von »Dunkelziffer«. Was ist das denn für ein Verein? Was machen die eigentlich? Was geht die das überhaupt an? Inzwischen kommen Beamte des Bundeskriminalamtes regelmäßig als Fachreferenten und erhalten im Gegensatz zu früher immer schnell die entsprechende Genehmigung ihrer Vorgesetzten. Der Chef der Abteilung Kinderpornografie in der Wiesbadener Behörde hatte einst allen Zweiflern erklärt, was die von »Dunkelziffer« machten, sei gut, außerdem übernehme der Verein auch alle Kosten.
    Diese Zusammenarbeit hat nachhaltige Wirkungen, denn die Beamten geben ihre Erkenntnisse weiter und sorgen so für größtmögliche Verbreitung. Auch Polizisten auf dem Land, die sich eher mit Einbrüchen, Autounfällen, Wirtshausschlägereien beschäftigen
müssen, haben gelernt, Zeichen von Kindesmissbrauch an scheinbar unauffälligen Symptomen zu