BKA - Die Jaeger des Boesen
über aktuelle Fälle informieren, oft so wenig Anlass zur Freude haben. »Wir lassen eher unsere Wut raus«, sagt Geschäftsführerin Vera Falck, denn das wirke zumindest für Augenblicke befreiend. Heidemarie Jung: »Die Kinder und Jugendlichen sind über die physischen Vorgänge aufgeklärt, aber nicht über das, was
emotional mit ihnen passiert. Dieses Niemandsland nützen Täter als angeblich einfühlsame Zuhörende aus. Das Ausmaß derer, die sich so einschleichen, ist viel größer, als wir ahnen. Wir sind zumeist nur die Anlaufstelle für bestimmte Familien. Bessergestellte schweigen oder gehen mit ihren Problemen in eine Privatpraxis.« Und Carmen Kerger-Ladleif ergänzt: »Nicht nur die Kinder wissen mehr, auch wir wissen mehr als früher. So viele minderjährige Täter wie heute gab es früher nicht. Die Sexualisierung durch veröffentlichte Bilder, durch Filme im Internet ist gewaltig gestiegen. Gleichzeitig haben die Heranwachsenden keine Ansprechpartner, mit denen sie reden können über das, was sie sehen.«
Die Zeiten, da elfjährige Mädchen mit ihren Puppen spielten und noch keine Ahnung davon hatten, was es bedeutet, irgendeinem Kerl einen blasen zu müssen, sind schon lange vorbei. Heute wissen sie, was ihnen mitunter angetan wird, und vor allem: Sie wissen es auch zu benennen. Sie haben die ordinären Fachausdrücke in Nachmittagssendungen privater Fernsehanstalten von schamlos verblödeten Moderatoren und hoffnungslos verwahrlosten Gästen oft genug vorgesetzt bekommen. Seit zudem bereits Zehnjährige ungestört miteinander chatten und dabei erfahren können, wonach sie sich ihre Eltern nicht zu fragen trauen, erscheinen alle bisher wenigstens noch für Kinder gültige Tabus obsolet.
Deren Chatrooms, erklärte mir ein Kommissar des Bundeskriminalamtes, sind durchsexualisiert, untereinander mailen sich viele, zu viele Kinder offen alles zu, was man früher selbstverständlich verschwiegen hätte vor ihnen. Es ist zwar zu spät, sich darüber aufzuregen, mit den Folgen jedoch müssen sich die Erwachsenen auseinandersetzen, weil sie zu lange weggeschaut haben. Hinschauen ist das erste Gebot, genau hinschauen. Pädophile schleichen sich unter falscher Identität per E-Mail in die virtuellen Räume der Kinder ein. Sie gehen gezielt auf Jagd im Online-Dschungel. Dann wird es aber real gefährlich. Diese Gefahr haben mittlerweile Politiker und Sozialpädagogen erkannt. Damit vor allem Mädchen, die früher in einem bestimmten vorpubertären
Alter ihre geheimen Gedanken noch ihrem Tagebuch anvertraut haben, nicht denen auf den Leim gehen, die mailend angeblich ihre Probleme verstehen und bei Bedarf als Ratgeber bereitstehen, haben Experten ein »zielgruppengerechtes Faltblatt« mit Vorsichtsmaßnahmen zusammengestellt, abrufbar unter www.jugendschutz.net . Die effektivste Barriere gegen fremde Eindringlinge sind einfache und deshalb auch Kindern einleuchtende Regeln: Nie seinen richtigen Namen benutzen, sondern einen Spitznamen. Nie das richtige Alter angeben, nie den Wohnort, nie die Adresse, nie die Telefonnummer, nie die Schule, nie ein Foto ins Netz stellen – und vor allem: nie Verabredungen treffen mit Fremden.
Doch was nützen solche Warnungen, wenn es nicht Fremde sind, die sie belästigen und missbrauchen, sondern sie ihnen entweder gut bekannt sind oder gar zur Familie gehören? In Dünkirchen zum Beispiel, ebenfalls passiert 2010, hatten bei Familienfeiern sämtliche Verwandten die Kinder der Gastgeber, zwischen einem und vier Jahre alt, gemeinschaftlich missbraucht.
Die sexuelle Gewalt gegen Kinder ist trotz aller Veröffentlichungen über das, was in Pfarreien und Internaten, in Sportvereinen und Jugendzentren jahrzehntelang geschah, nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu. Über dieses Thema möchte man nicht zu viel reden und schon gar nicht alles wissen. Ja, es ist schrecklich, aber es schreckt ab. Leider nicht die Täter, sondern auch die Opfer. Noch immer scheuen zu viele Mädchen und Jungen davor zurück, auszusprechen, was ihnen zugestoßen ist, und die anzuzeigen, die es ihnen angetan haben.
Entweder schämen sie sich, weil ihnen eingeredet worden war, dass sie mitschuldig sind, oder aber sie fürchten, dass ihnen niemand glaubt, weil die Namen, die sie nennen müssten, nicht zu irgendeinem herumlungernden Sittenstrolch gehören, sondern zu Papa, Onkel, Opa, Freund oder jemandem aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld der Familie. Tatsache aber ist, dass zwar ein Viertel aller
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