BKA - Die Jaeger des Boesen
der besonderen Art ab, denn GIS lieferte ihr das nötige praktische Handwerkszeug für alles, was sie beim Studium der Geografie theoretisch gelernt hatte. Es kam ihr dabei der technische Fortschritt in Form des Computers zu Hilfe. »Ich habe schon früh verstanden, welche Möglichkeiten diese Technik gerade für meine Wissenschaft bot.« Ohne Computer würde es heute nicht das geben, was ihre Profession ausmacht – digitale Landkarten des Verbrechens herzustellen.
Danach suchte sie, theoretisch bestens gerüstet mit Geografie plus GIS plus Laptop, einen Job, der dazu passte und für den sie sich begeistern könnte. Das verlief ähnlich mühsam wie eine Spurensuche am Tatort. Sie allerdings suchte nach Orten, an denen ihre Fähigkeiten gefragt sein könnten. Wo gibt es in Deutschland Crime Mapper, und wo kann ich mich bewerben? Dabei zeichnete sie der Mut aus, sich auf unbekanntes Gelände auch dann vorzuwagen, wenn es keine Seile gibt, an denen sie sich bei Gefahr würde festhalten können. Als sie Anfang 2003 von jener ersten Crime-Mapping-Konferenz erfuhr, die in London stattfinden würde und zu der Experten aus der ganzen Welt erwartet wurden, nützte sie deshalb die Chance und flog hin.
Bereits ein Jahr nach ihrem Dienstantritt referierte sie mit ihrem ersten Chef, eben Bob Milne, gemeinsam bei einer Konferenz in Savannah, South Carolina, zum Thema »Mapping of Forensic Data«, was bereits auf den Erfahrungen ihrer praktischen Arbeit in London beruhte:Wie lassen sich Spuren von Taten und Tatorten geografisch so verknüpfen, dass sie den Ermittlern in einem Verbrechen helfen, die Täter zu lokalisieren?
Warum hat sie, statt nach London zu fliegen, nicht versucht, sich mit ihren Fähigkeiten dem Bayerischen Landeskriminalamt anzudienen oder gar dem Bundeskriminalamt in Wiesbaden? Das LKA wäre doch ideal gewesen, denn München war damals die Stadt, in der sie lebte. Auf die Idee ist sie natürlich auch gekommen. Sie hat sich beworben, bekam auch einen Termin, um sich vorzustellen. Man hörte ihr interessiert zu, doch Planstellen für
Crime Mapper gab es nicht. Die Kripobeamten hatten keine Erfahrungen mit den Möglichkeiten der geografischen Informationssysteme bei der Verbrechensbekämpfung gemacht. Kriminalgeografie war ein unbekanntes Terrain, war absolutes Neuland. Innerhalb des Systems Polizei fehlte es deshalb an Fantasie, sich vorzustellen, was man bei der Strafverfolgung mithilfe akademischer Quereinsteiger anfangen könnte.
Das haben die Bayern inzwischen längst begriffen, sie sind ganz vorn, weiter als andere Landeskriminalämter. Sie versuchen diesen Vorsprung auszubauen und direkt von den Hochschulen IT-Spezialisten zu verpflichten, denen sie die übliche Ochsentour in verschiedenen Abteilungen der Behörde ersparen. Sie haben nicht nur GIS in ihre kriminalistische Arbeit integriert, sie benutzen außerdem ein hochmodernes Visualisierungssystem des Verbrechens, abgekürzt GLADIS — »Geografisches Lage-, Analyse-, Darstellungs- und Informationssystem«. Damit lassen sich jederzeit alle Straftaten in München oder Bayern aufrufen, die zu einer bestimmten Tages- oder Nachtzeit und in einer bestimmten geografischen Umgebung begangen wurden. Und es lässt sich alles verknüpfen mit Beschreibungen von Tätern, von Tathergängen, von dabei benutzten Waffen. Das Geoprofiling, wie Officer Leist es in England betreibt, gehört für die bayerischen Top Cops zum Alltag.
Christine Leist versuchte es damals auch beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Sie wurde dort nicht nur freundlich empfangen, sondern traf sogar auf Kundige. Das BKA hatte bereits eine GIS—Abteilung. Doch die stand damals kurz vor der Auflösung oder wurde gerade in ein anderes Referat integriert, das weiß sie nicht mehr so genau. Jedenfalls gab es auch da keinen Job für sie. Deshalb blieb ihr nur der Weg in die Ferne nach London. Die Vereinigten Staaten von Amerika wären ideal gewesen, denn wissenschaftliche Forensiker sind da schon lange integriert in polizeiliche Ermittlungsarbeit, wie jeder gebildete deutsche Fernsehzuschauer seit Serien wie Navy CSI oder CSI Miami oder The District weiß, wo die Arbeit der kriminaltechnischen
Spurensucher als so wesentlich vorgeführt wird wie die der Ermittler draußen am Tatort. Was die Amerikaner der jungen Deutschen anbieten konnten, war jedoch nur ein unbezahltes Praktikum in Washington. Da hätte sie sicher viel dazugelernt, aber wovon hätte sie in den sechs Monaten der Ausbildung leben
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