BKA - Die Jaeger des Boesen
ihre Schreie von dort herüber in die Bar gedrungen sein müssen. Oder weiß sie nicht mehr, wann und wo sie schrie? War es ein – verständlicher – Blackout, ausgelöst durch den Schock, als sie feststellte, dass Maddie nicht mehr da war? Erneut offene Fragen. Zumindest die genaue Beschreibung des Tatorts ist über alle Zweifel erhaben. Der steht unverrückbar da. Aus Stein.
Appartement 5A auf der »Waterside Gardens« genannten Seite der Club-Anlage ist eine Eckwohnung im Erdgeschoss. Allen Feriengästen steht pro Appartement ein Stellplatz zu. Die Parkplätze sind durch eine etwa anderthalb Meter hohe Mauer getrennt von der jedermann zugänglichen öffentlichen Rua Dr. Francisco Gentil Martins, auf die eine breite offene Zufahrt führt. Keiner der Urlauber könnte anhand des Autos die Besitzer identifizieren, weil es sich bei allen Pkws um die üblichen Mietwagen handelt. Ein fremdes Fahrzeug würde niemandem auffallen. Doch fünf Tage nach den Ereignissen dieser Nacht, am 8. Mai, sagt Maria da Silva, die in der Nähe wohnt und um 21.58 Uhr ihr Appartement verlassen hatte, aus, dass sie sich an einen verdächtigen Pkw erinnere, an ein »kleines, wahrscheinlich graues« Auto, das unmittelbar unter dem Fenster des Appartements 5A gestanden habe. Möglich also, dass ein Täter dort parkte und auf eine Gelegenheit wartete, in die Eckwohnung einzudringen. Besondere Ortskenntnisse sind
nicht nötig. Der Weg ins Haus erschließt sich auf einen Blick. Er führt durch ein kleines Tor direkt vom Parkplatz über ein paar Stufen zum Haupteingang des Appartements. Dann ließe sich unbeobachtet die Wohnung betreten.
Die Haustür aber sei verschlossen gewesen, sagte Gerald McCann aus, konnte jedoch bei Nachfragen nicht mit Sicherheit ausschließen, dass auf einem der Kontrollgänge, bei denen die in der Bar tafelnden Erwachsenen abwechselnd nach ihren schlafenden Kindern schauten, vergessen wurde, sie wieder abzuschließen. Eher dürfte es so gewesen sein, glaubt er sich zu erinnern, dass er oder seine Freunde über die Terrasse durch die Schiebetür ins Appartement gelangt seien, weil sie wussten, dass die halb offen stand. Wie beschrieben gab es zu Appartement 5A – Luftlinie vom Restaurant entfernt etwa 200 Meter – zwei Routen. Der Weg über den Rasen durch den Garten dauerte nicht ganz so lang wie der bequemere auf der anderen Seite. Das ergaben die Ermittlungen.
Da sie sich die Ausgaben für einen Babysitter sparen wollten, hatte sich abwechselnd alle halbe Stunde einer aus der Runde, die sich hier jeden Abend zum Essen traf – Matthew Oldfield und seine Frau Rachael, Russell O’Brien und seine Lebensgefährtin Jane Tanner, David und Fiona Payne, deren Mutter Diane Webber und eben die McCanns –, aufgemacht zu den von der Veranda des Restaurants aus nicht einsehbaren Ferienwohnungen 5A, 5D, 5E, um nach den Kindern zu schauen. Den eigenen und denen der Freunde. Auch am Abend des 3. Mai 2007. Nur Fiona und David Payne aus Appartement 5H, die gleichfalls zu den von britischen Journalisten Tapas Seven genannten befreundeten Paaren am Tisch gehörten, blieben stets sitzen. Sie hatten eine Babyfonanlage installiert, konnten deshalb hören, was in ihrer Wohnung geschah, und sofort reagieren, falls ihre kleinen Töchter Scarlett und Lilly aufwachen und weinen sollten.
Warum ist es für die Lösung des Falls so wichtig, ob Kate McCanns Schrei in der Bar nur aus der Ferne zu hören war oder ob sie erst schrie, als sie in die Bar stürzte? Würde Letzteres die Eltern
vom Verdacht entlasten, die Entführung vorgetäuscht zu haben ? Wäre es der Beweis, dass Madeleine entweder von einem sich spontan zur Tat entschließenden Päderasten oder gar von einer im Auftrag von Pädophilen tätigen Kidnapperbande entführt worden ist? Ist der Gedanke wirklich so fern der Realität, so abstrus, wie die Polizei behauptete? Hatte es nicht gerade in Portugal einen ungeheueren Skandal gegeben, als sich durch die Recherchen einer Reporterin herausstellte, dass über Jahrzehnte hinweg Zöglinge aus staatlichen Erziehungsanstalten von einer pädokriminellen Organisation, Casa Pia genannt, zu der höchste Staatsbeamte und kirchliche Würdenträger gehörten, vergewaltigt worden waren?
Falls Gerald McCann tatsächlich noch beim Wein saß, als seine Frau schreiend in die Bar gerannt kam, kann er nicht jener Mann gewesen sein, den Martin Smith etwa um diese Zeit auf der Rua da Escola Primaria getroffen hatte. Falls Gerald McCann, wie er immer
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