BKA - Die Jaeger des Boesen
reicht. Im Garten des Hauses, der Quadratmeter für Quadratmeter umgegraben wird, schlagen Spürhunde, die zuvor an Madeleines Kleidungsstücken Witterung aufgenommen hatten, nirgendwo an. Diesen Großeinsatz bekommen trotz der Uhrzeit kurz nach sieben morgens einige Journalisten mit, und manche ziehen, eine Sensation in diesem sensationellen Fall witternd, voreilig Schlüsse daraus. Eine englische Zeitung, die Murat als möglichen Entführer Maddies schildert, wird später deswegen verurteilt, an den Immobilienmakler 800 000 Euro Schmerzensgeld wegen Rufschädigung zu bezahlen.
Befragt nach der möglichen Nationalität des Mannes mit dem Kind auf dem Arm, kann Martin Smith nicht mal sagen, ob es sich dabei um einen Briten gehandelt hat, was er an dessen Sprache bzw. Aussprache hätte feststellen können. Den Fremden, der offensichtlich unterwegs war zum Strand, habe er zwar freundlich gefragt, ob seine kleine Tochter eingeschlafen sei und jetzt ins Bett verfrachtet werde. Der Mann aber war, ohne ihm zu antworten, einfach weitergegangen, was Smith damals als ungehörig empfand, nicht als merkwürdig, und bereits wieder vergessen hatte, als er in seiner Ferienwohnung ankam.
Theoretisch könnte es durchaus sein, dass er auf der Rua da Escola Primaria dem Entführer von Madeleine McCann begegnet ist. Theoretisch könnte es sein, dass die irischen Urlauber die Letzten waren, die Maddie lebend gesehen haben. Theoretisch könnte es sogar sein, dass die Kleine, die der Mann trug, nicht etwa schlief, sondern bereits tot war. Die Beschreibung, die Smith abgab, passte auf das verschwundene Kind. Laut Auskunft ihrer Mutter hat Maddie am fraglichen Abend, als sie ihre Tochter ins Bett brachte, einen zweiteiligen rosaroten Schlafanzug getragen. Maddie hat lange blonde Haare, und dass sie barfuß war, spricht gleichfalls für die Vermutung, dass es Maddie gewesen sein könnte. Denn falls sie tatsächlich aus ihrem Bett geraubt worden
sein sollte, dann ist es nur logisch, dass sie keine Schuhe anhatte, weil sie bestimmt mit nackten Füßchen eingeschlafen war. Die Beschreibung des kleinen Mädchens, das Smith auf dem Arm des Fremden gesehen hatte, passte insgesamt gesehen also genau auf Madeleine McCann.
Theoretisch könnte es sogar so sein, dass der Mann, der sie trug, kein Fremder, sondern ihr Vater war. Portugiesische Detektive hatten ihn, nachdem Robert Murat nichts nachzuweisen war, was einen Haftbefehl begründet hätte, im Laufe ihrer Ermittlungen unter Verdacht. Sie sammelten Belege gegen ihn, aber nichts davon war beweiskräftig. Kritiker warfen ihnen später vor, dass sie andere erfolgversprechende Spuren und Hinweise nicht oder zu spät beachtet haben, weil sie nur noch auf Gerry McCann fokussiert gewesen seien. Was sie bestreiten. Dass am Tatort viele Fehler gemacht wurden, dass sich zeitweise bis zu fünfzig Menschen im Appartement der McCanns aufhielten und dabei natürlich alle möglichen Spuren vernichtet wurden, bevor sie untersucht werden konnten, ist dagegen unstrittig.
Polizeiliche Standards wurden nicht nur bei der Spurensicherung im Haus mit vielen Füßen getreten, auch die folgende weitere Suche war dilettantisch. Ein Spürhund, der sich am Geruch eines Kleidungsstücks von Maddie orientierte, hatte ihre Fährte bis zu einem Supermercado verfolgt, etwa einen halben Kilometer entfernt von der Ferienanlage, und erst da die Spur verloren. Doch statt diese einzige konkrete Spur zu verfolgen, die sie in jener Nacht hatten, statt sofort in der Umgebung des Supermarkts mit einer intensiven Suche nach Maddie zu beginnen, mit entsprechender Manpower systematisch alle Häuser und Wohnungen abzuklappern, blieben die Polizisten untätig und hakten die Spur ab. Wahrscheinlich habe Maddie, so ihre Begründung, irgendwann in den Tagen zuvor ihre Eltern beim Einkauf in den Supermarkt begleitet und der Hund habe lediglich diese alte Spur erschnüffelt.
Sie missachteten fahrlässig die wesentlichen Regeln bei Ermittlungen, egal in welchem Fall. Die gelten sowohl für Kriminalbeamte bei der Spurensuche als auch für Journalisten bei Recherchen.
Die Profis unter denen haben gelernt, erst dann in eine bestimmte Richtung zu ermitteln bzw. zu recherchieren, wenn sie keinen einzigen Beleg finden, der gegen einen solchen Verdacht spricht. Die Ermittler vor Ort hätte nach diesem Prinzip ihren bald aufkeimenden Verdacht gegen Gerald McCann beerdigen müssen, sobald sich, beruhend auf Aussagen sowohl seiner Freunde als auch der
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