BKA - Die Jaeger des Boesen
sich vor ihn ans Fenster oder vor die Balkontür gestellt. Das ganz bestimmt nicht, erwidert Frau Rohwedder bitter, aber trotzdem sind die Sicherheitsbehörden von Nordrhein-Westfalen mitschuldig am Tod ihres Mannes. »Wenn es auch oben schusssichere Scheiben gegeben hätte, dann würde mein Mann noch leben.« Die Terroristen hätten Detlev Rohwedder selbst in Berlin erwischen können, wo er Personenschutz Stufe eins genießt, so wie Bundeskanzler Helmut Kohl, und wo er auch nachts im Hotel bewacht wird. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Wenn Rohwedder, in seiner Größe nicht zu übersehen, morgens das Hotel verließ, um zur Treuhandanstalt zu
fahren, zeigte er gern aufs Berliner Haus der Demokratie gegenüber, wo munter rote Fahnen im Wind wehten: »Falls aus einem der Fenster da jetzt einer auf mich zielen würde, wär’s vorbei. Im ganzen Haus da habe ich doch Feinde.«
Der Spur des Fernglases, das die BKA-Beamten auf dem Bekennerschreiben im Schrebergarten finden, folgen die Fahnder bis zum Hersteller nach Japan, um über die Lieferkette zurück bis nach Deutschland den Käufer herauszubekommen. Vergebens, es ist billige Dutzendware, eine tote Spur. Ein paar Wochen nach Ostern hätten die Mörder kein freies Schussfeld mehr gehabt, weil dann die Bäume vor dem Haus und am Straßenrand dicht belaubt gewesen wären. Aber Anfang April, an Ostern 1991, störte nichts, erst recht keine Nachbarn, die alle befragt wurden. Jeder, der einen Hund ausführte, ist auch der tatsächliche Besitzer, denn aus dem Tierheim geliehene Hunde auszuführen gehörte zu den Tarnungen, mit denen RAF-Mitglieder Tatorte und Opfer auszuspähen pflegten. Resigniert sagte mir der damals zuständige Kriminaldirektor des Bundeskriminalamtes, dass die Terroristen sogar in Ruhe mit einer Panzerfaust hätten anlegen und das ganze erste Stockwerk des Rohwedder-Hauses hätten wegfegen können.
In ihrem Wahn glaubte die RAF, mit den Schüssen vom Rhein die Stimmung des Volkes drüben zu treffen. Wahnsinn. Sie ermordeten im Gegenteil einen Mann, der dringender als andere gebraucht worden wäre für die Verwirklichung der Einheit. Einen Patrioten, dem sie am Herzen lag. Der das Versprechen des Bundeskanzlers, blühende Landschaften zu schaffen, als Verpflichtung betrachtete. Mit Helmut Kohl saß der Sozialdemokrat Detlev Rohwedder, beide in Strickjacken, gern bei einer Flasche pfälzischen Weins, sie redeten über die Erfahrungen mit den bis zum Mauerfall einander ziemlich fremden Deutschen, stritten sich auch.
Der Kanzler hatte nach der Ermordung seines obersten Treuhändlers dessen Witwe über die Nachrufe und Beileidsbezeugungen hinaus nicht vergessen, weder im Krankenhaus noch bei ihrer so mühsamen Rückkehr ins Leben. »Er hat die Kinder zu Hause besucht, hat sich um sie gekümmert. Mein Mann hat immer gesagt,
wenn du mit Kohl ein Problem besprichst, hast du nach zwei Wochen eine Antwort, entweder Ja oder Nein, aber es ist wenigstens eine.« Am Todestag Rohwedders vergaß Helmut Kohl nie, einen Kranz an dessen Grab niederlegen zu lassen.
Als der Mord geschah, als in jener Osternacht 1991 der Schütze abdrückte, als die schwer verletzte Hergard Rohwedder mit letzter Kraft die Polizei anrief, wurde auch beim Kriminaldauerdienst des BKA Alarm ausgelöst. Mit dem, was man aus der spannenden und gut gemachten TV-Serie KDD kennt, hat dessen Arbeit allerdings nichts zu tun. Das eine ist Fiktion, das andere Realität.Würden sich die Beamten in Wiesbaden so benehmen wie die Schauspieler im Film, wären sie längst alle suspendiert.
KAPITEL 4
Die Fürsten der Finsternis
E twa vierhunderttausendmal pro Jahr bekommt der Kriminaldauerdienst des Bundeskriminalamtes Post. Manchmal im Umschlag, oft als Fax, meist per E-Mail. Der KDD, besetzt rund um die Uhr, weil auch die Bösen nie schlafen, ist die zentrale Eingangsstelle für »alle polizeirelevanten Informationen«, wie es in der mir inzwischen schon vertraut gewordenen Amtssprache heißt. Die hier tätigen Profis sichten, verdichten, gewichten. So unterscheiden sie, basierend auf ihren in Jahrzehnten gewonnenen Erfahrungen, zwischen relevanten und irrelevanten Meldungen. Die einen kommen ins Kröpfchen, die anderen ins Köpfchen. Relevantes leiten sie weiter an das zuständige Referat, Irrelevantes lassen sie liegen – darunter kann auch schon mal ein Flash, eine Eilmeldung, aus einem osteuropäischen Staat sein, in dem es nicht etwa um einen flüchtigen Gewaltverbrecher geht, sondern um die
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