BKA - Die Jaeger des Boesen
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, täglich konfrontiert mit kindlichen Opfern, unterscheidet deshalb gar nicht erst zwischen sexueller und anderer Gewalt: »Es gibt bei Kindern keine schlimmste Gewalt, jede Gewalt gegen Kinder ist eine Grenzüberschreitung«, und jede Form von Gewalt fördere eine andere, denn »Gewalt gegen Kinder verläuft chronisch eskalierend«. Knochenbrüche und Hämatome allerdings fallen sofort auf, da ist die Diagnose Gewalt klar. Aber bei sexuellem Missbrauch gibt es so »viele Facetten, die wir gar nicht nachweisen können«, sosehr sich auch ein bestimmter Verdacht aufdrängt.
Alle Formen des Missbrauchs sind strafbar, doch die Bestrafung entspricht oft nicht der Schwere des Delikts. Die Opfer dagegen müssen mit den Folgen seelischer und körperlicher Gewalt, die ihnen in der Kindheit angetan wurden, auch als Erwachsene umgehen, sind verurteilt zu Lebenslänglich. Abschreckende Urteile gegen Kinderschänder gehören auch deshalb zu den wesentlichen Forderungen von »Dunkelziffer«, dem in Hamburg ansässigen Verein, der seit bald zwanzig Jahren »Hilfe für sexuell missbrauchte Kinder« anbietet.
Am Anfang stand das Wort. Begleitet von Fotos, weil die tatsächlich in solchen Fällen mehr als Worte sagen. In der Illustrierten »Stern« erscheint 1989 eine Serie über sexuellen Missbrauch von Kindern, basierend auf ein ganzes Jahr dauernden weltweiten Recherchen der beiden Reporter Klaus Meyer-Andersen und Ann Thönnissen. Die Titelgeschichte am 9. November über die Kinderschänder der Nation, unter ihnen Stützen der bürgerlichen Gesellschaft, ist eine Sensation. Doch genau an dem Tag gibt es nachts eine größere, die in den folgenden Wochen und Monaten alles andere in den Schatten stellen wird – den Fall der Mauer in Berlin.
Kindesmissbrauch, vollzogen von prügelnden Lehrern, war in deutschen Schulen bis in die Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts alltägliche Praxis, galt als probates Mittel der Erziehung – und wurde auch von den meisten Eltern akzeptiert. Denn sie hatten es in ihrer Kindheit nicht anders erlebt, und sie verhielten sich auch als Erwachsene zu Hause gegenüber ihren eigenen Kindern nicht anders. Selbst die dunkle Variante namens »Sexueller Kindesmissbrauch« war kein die Gesellschaft bewegendes Thema. Einzelne Fälle machten zwar Schlagzeilen, beschäftigten die Öffentlichkeit, doch dabei handelte es sich stets um die im Volk »Sittenstrolche« genannten berüchtigten »guten Onkel«, die sich bevorzugt in der Nähe von Spielplätzen herumtrieben. Sie festzunehmen und wegzusperren war die Aufgabe von Polizei und Justiz. Im Vergleich zu heute könnte man diese Ära zynisch die besseren, weil überschaubareren Zeiten nennen. »Dunkelziffer«-Beraterin
Carmen Kerger-Ladleif: »Die sogenannten guten Onkel auf Spielplätzen sind heute tatsächlich meist gute Onkel, denn die wirklichen Pädosexuellen suchen sich ihre Opfer im Internet, in anonymen Chatrooms – oder in der eigenen Familie.«
Da vor allem. Dass sich die Mehrzahl der Kinderschänder hinter der Fassade einer bürgerlichen Existenz tarnte, oft als respektierte Vaterfiguren in einer angesehenen Familie, oft zudem geduldet von der Ehefrau, vermochte man sich nicht vorzustellen – oder wollte man es lieber nicht so genau wissen? Seit den Enthüllungen des Jahres 2010 weiß man, dass die Strategie »Vertuschen, Verschweigen, Verdrängen« offensichtlich nicht nur in der katholischen Kirche galt. Denn wäre Missbrauch nur dort, hinter den Mauern der Kirchen und Klöster, passiert, könnte man von einem Wunder reden.
Vor der »Stern«-Veröffentlichung war ebenso wenig vorstellbar, dass es ein klandestines Netzwerk von Pädophilen und Pädosexuellen und Pädokriminellen gab, weltweit aktiv, lange bevor das Internet erfunden wurde. Dementsprechend mager waren die Erkenntnisse der Behörden über die Dimension des Verbrechens, egal ob im In- oder im Ausland. Erst Meyer-Andersen und Thönnissen stellten die Männerbünde öffentlich vor und damit an den Pranger.
Erste Hinweise auf ein kriminelles Dunkelfeld namens Kindesmissbrauch entdeckten die Reporter 1988 in Anzeigen eines Pornomagazins. Angepriesen wurden dort unverblümt Lolitas für Sexspiele oder Ehepaare mit kleinem Kind, die Gleichgesinnte suchten usw. Dass Kindesmissbrauch hauptsächlich in Thailand und auf den Philippinen vorkam und deutsche Pädophile deshalb gern ihren Jahresurlaub dort verbrachten, weil es da ihren Neigungen
Weitere Kostenlose Bücher