BKA - Die Jaeger des Boesen
entsprechend einen schier unerschöpflichen Markt für sogenanntes »Frischfleisch« gab, war schon eher bekannt. Aber das Perverse schien weit weg, passierte in armen Dritte-Welt-Ländern und, Gott behüte!, nicht hier in der reichen Bundesrepublik.
Die Reporter flogen nach Asien, erkundeten die pädokriminelle Szene vor Ort und stießen bei ihren Recherchen auf viele
deutsche Namen und Adressen. Danach ging es nicht mehr allein um die Bösen in weiter Ferne, denn das Böse lag plötzlich ganz nah. Lauerte vor der Haustür. Die Täter wohnten um die Ecke. Doch sie würden die Tür nur denen öffnen, die ihnen auch selbst anzubieten hatten, worauf sie so scharf waren. Um an sie heranzukommen, mussten die Reporter, verdeckten Ermittlern gleich, Eigenbedarf heucheln, beispielsweise Videos servieren, die sexuellen Kindesmissbrauch dokumentierten.
Ein Hauptkommissar des Bundeskriminalamtes, den Meyer-Andersen kennt, ist von Beginn der Recherchen an eingeweiht und unterstützt aus Überzeugung die journalistischen Fahnder. Der »Stern«-Reporter wird als Undercover-Agent aktiv, lässt sich in Absprache mit dem BKA eine falsche Identität verpassen und bekommt zudem eine Deckadresse. Die für seine Recherchen nötige Tauschware stellt das BKA, in dessen Asservatenkammern beschlagnahmtes Material aus einschlägigen Pornoshops verwahrt wird. So etwas wäre heute undenkbar, sagt mir Kriminaldirektor Christian Hoppe von der Zentralstelle Kinderpornografie des Bundeskriminalamtes, als ahne er, dass ich auf ganz bestimmte Gedanken gekommen bin. Meyer-Andersen bietet seinen Stoff per Anzeige in einschlägigen Schmuddelheften an, sucht parallel in Eigenanzeigen nach Filmen oder formuliert eindeutige Anfragen nach Gelegenheiten, selbst mit Kindern sexuell aktiv werden zu können.
Die Resonanz ist widerwärtig groß. Typische Antwort auf eine derartige Anfrage:
»Lieber Lolita-Interessent, ich habe – gegen eine Vermittlungsgebühr von 1000 Mark, versteht sich – eine Lolita anzubieten, die mit ihren elf Jahren schon eine Menge Erfahrung in Erziehungsfragen hat. Sie ist devot veranlagt, aber gelegentlich noch reichlich unverschämt und sperrig, was aber korrigierbar sein dürfte. Sie ist blond und gut gewachsen. Zu meiner Person: Ich bin selbstständiger Kaufmann, reise viel, auch auf die Philippinen, wo ich hoffentlich viel filmen kann. Es ist immer wieder erfrischend, mit Gleichgesinnten zu reden. Man muss sich
nicht verstecken […], nur weil in der Gesellschaft das Verständnis für dieses Hobby fehlt […].«
Für die daraufhin vereinbarten Begegnungen lässt sich Meyer-Andersen verkabeln, um die »Geschäftsverhandlungen« aufzuzeichnen, ein Begleiter, angeblich ebenfalls an einschlägigem Material interessiert, macht heimlich Filmaufnahmen. So sammeln sie Beweise. Die nächste Begegnung, diesmal eine der anderen Art, hatten der selbstständige Kaufmann oder andere, die auf ähnliche Geschäfte spezialisiert waren, mit der Kriminalpolizei.
Darf ein Journalist so eng zusammenarbeiten mit der Polizei, und darf er an die gar Informationen weitergeben, die er im Zuge seiner Recherchen erhalten hat? Im Prinzip nicht. Muss er aber in solchen Fällen. Sonst macht er sich mitschuldig. Nach der »Stern«-Veröffentlichung meldeten sich viele Eltern, Angehörige und Opfer mit ihren eigenen Erlebnissen, die lange Zeit niemand hatte hören wollen. Die sie irgendwann auch niemandem mehr erzählten, weil ihnen eh keiner glaubte. Endlich war ein lange totgeschwiegenes Thema öffentlich geworden. Eintreffende Spenden wurden an bereits existierende Opferorganisationen wie »Wildwasser«, einen Verein gegen sexuellen Missbrauch von Mädchen und Frauen, weitergereicht. Meyer-Andersen hielt Vorträge zum Tabuthema Kindesmissbrauch, doch das normale Tagesgeschäft eines Reporters ging ja auch weiter. Die Bilder im Kopf jedoch ließen ihn nicht mehr los. Aus der Serie entstand ein Buch. Was da im Klappentext steht, beschreibt in wenigen Zeilen die unendliche Leidensgeschichte der Kinder und ist eine Anklage nicht nur gegen die bürgerlichen Täter, sondern auch gegen professionelle Händler, die deren Triebe kommerziell ausbeuteten:
»Sie wachsen auf in der Hölle, und es gibt niemanden, der ihre Klagen hört: 300 000 Kinder jährlich, überwiegend kleine Mädchen, werden in Westdeutschland von ihren Vätern und nahen Verwandten sexuell mißbraucht. Obwohl Experten seit langem auf die Tatsache hinweisen, ist Kinderschändung noch immer
das
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