BKA - Die Jaeger des Boesen
neununddreißig, als sie ihr Schweigen brach. In der benachbarten Schweiz hat nach einem Volksentscheid die Mehrheit der Stimmbürger dafür gesorgt, dass die Verjährung bei sexuellem Kindesmissbrauch ganz aufgehoben wurde. So wie das auch bei Morden der Fall ist. Eigentlich handelt es sich ja bei missbrauchten Kindern um Mord auch dann, wenn die Opfer weiterleben. Ihre Seelen wurden ermordet. Eigentlich sind Pädokriminelle Kindermörder.
Selbst wenn ihre Taten verjährt sind, ist das, was sie taten, bei ihren Opfern nie verjährt. Eine längst erwachsene Frau hat die Wunden nie verwunden, die ihr einst vom eigenen Vater zugefügt wurden. Sie schrieb ihm aus der Psychiatrie, wo man in vielen Therapien versuchte, ihr wieder ein normales Leben zu ermöglichen, einen Brief. Die renommierten Kriminologen Adolf Gallwitz und Manfred Paulus haben ihn als typischen Fall in ihren Sammelband authentischer Kriminalfälle und Fallanalysen mit dem Titel »Kinderfreunde, Kindermörder« aufgenommen:
»Zunächst danke ich dir dafür, dass du mir während meiner Kindheit zu essen gabst und dass ich ein Dach über dem Kopf hatte. Ich gehe auch davon aus, dass du mir während meiner Kindheit ein paar schöne Tage gegeben hast […], obwohl ich mich an sie nicht mehr erinnern kann. Ich war noch sehr klein, als alles begann […] du hast mir verboten, mit anderen Kindern zu spielen. Ich habe es dennoch getan. Entgegen deiner
Anordnung war ich an einem sonnigen Wintertag draußen und spielte mit anderen Kindern im Schnee. Als ich, mehr vor Angst als vor der Nässe zitternd, nach Hause kam, hast du mir die Kleider wütend vom Leib gerissen und mich so lange nackt an die Wand gestellt, bis sie wieder trocken waren. Du hast mich beschimpft, und du hast mich geschlagen. Immer dann, wenn deine Erziehungsmaßnahmen bei mir blaue Flecken im Gesicht oder Striemen auf Schultern oder Rücken hinterließen, hast du mir strengstens verboten, darüber zu reden […]. Dass alles noch viel schlimmer kommen könnte, war für mich damals nicht vorstellbar. Aber es kam schlimmer. Die für mich grauenvollste Zeit begann an dem Abend, als du mir erklären wolltest, was Liebe ist. Als du mir zeigen wolltest, wie man Liebe macht. Du hast mich ausgezogen und du hast mich mit deinen schmutzigen Fingern betatscht und gequält. Du faules Miststück, mach endlich deine Beine breit, hast du mich angebrüllt, und weil ich mich viel zu doof anstellte, hast du mir gezeigt, wie man das macht. Du wolltest, dass ich dich anfasse. Du wolltest, dass ich dich küsse. Du wolltest, dass ich dich verwöhne. Ich empfand nur Ekel, Schmerzen, Schuldgefühle und Scham. Als ich zugeritten war, hat es dir wohl noch mehr Spaß gemacht mit mir. Obwohl du mich nicht mehr so oft geschimpft und auf mich eingeschlagen hast wie die Jahre zuvor, folgte nun die grauenvollste Zeit meines Lebens. Wie schrecklich musste das alles für Mutti gewesen sein, die davon wusste oder ahnte? Warum hat sie nichts unternommen? Hatte sie genauso große Angst vor dir wie ich? Du hast mein Leben, bevor es richtig angefangen hat, zerstört. Ich befürchte, endgültig, unwiderruflich. Du hast Schuld auf dich geladen und du hast nie bereut […].«
Nachdem sie es endlich gewagt hatte, ihn anzuzeigen, wurde ihr Vater zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, eine geradezu skandalös lächerliche Strafe. Reue zeigte er nie. Er fühlte sich vielmehr als Opfer des »dummen Geschwätzes« seiner Tochter.
Er würde es wieder tun, denn er ist nach Einschätzung des Ex-Kommissars Manfred Paulus, der fünfzehn Jahre lang in Delikten sexuellen Missbrauchs von Kindern ermittelte, weiterhin gewaltbereit. Der Kriminalist ist überzeugt davon, dass zu verhindern gewesen wäre, was einst dem Mädchen geschah. Es war wiederholt vom Hausarzt der Familie untersucht worden, ohne dass dem je etwas auffiel – aber vielleicht hatte einfach niemand die Signale sehen wollen.
Falls man Täter rechtzeitig vor einer Verjährung erwischt, dauert es in der Regel immer noch durchschnittlich anderthalb Jahre, bis sie vor Gericht gestellt werden. Die lange Wartezeit verlängert die seelischen Qualen ihrer Opfer, denn bis zum Termin leben sie mit der zusätzlichen psychischen Belastung, vor fremden Menschen schildern zu müssen, was der Angeklagte mit ihnen gemacht hat. Vor solchen, für ein Urteil aber notwendigen Aussagen scheuen viele zurück, aus Scham und aus Angst vor der dann befürchteten öffentlichen Schande. Die
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