BKA - Die Jaeger des Boesen
gemeldeten Missbrauchsfälle um etwa ein Viertel.
Das ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, denn offenbar scheuen nach wie vor viele davor zurück, sich bei der Kriminalpolizei zu melden und die Kinderschänder anzuzeigen. »Dunkelziffer« benachrichtigt grundsätzlich nie die Polizei, das gehört zu seinem Selbstverständnis. Erfolgreich helfen können die Mitarbeiter nur dann, wenn alle, die sich telefonisch oder online bei ihnen melden, sicher sein können, dass ihre persönliche Leidensgeschichte vertraulich behandelt wird. Schweigepflicht ist erstes Gebot. Die Entscheidung, die Täter anzuzeigen, bleibt den Opfern überlassen. »Wir geben den Kindern und den Eltern durch unsere Arbeit die Hoffnung auf ein besseres Leben«, sagt Vera Falck. Mehr könnten sie nicht tun, aber genau dies ist aller Mühe
wert. Carmen Kerger-Ladleif: »Wir informieren die Opfer oder die Lehrer über die Möglichkeit einer Strafanzeige und darüber, wohin sie sich mit der wenden können, aber wir sagen es nicht direkt der Polizei, außer in ganz akuten Fällen, die ich zum Beispiel in einem Chatroom entdecke, denn da ist dann Gefahr im Verzug, da muss schnell etwas geschehen.«
Die Zahl von missbrauchten Kindern unter sechs stieg in den letzten zehn Jahren von 1475 auf 1849. Pädosexuelle schrecken vor Unzucht mit Kleinstkindern nicht zurück. Auch nicht in der eigenen Familie. Im Oktober 2010 stand in Berlin ein fünfundzwanzigjähriger Vater vor Gericht, der seinen Sohn missbraucht hatte. Begonnen hatte er damit, als der Säugling zwei Monate alt war. Er filmte seine Perversionen und speicherte sie auf der Festplatte seines Computers. Da entdeckte sie die Mutter des Babys und alarmierte die Polizei. Der Mann, damals Berufssoldat bei der Bundeswehr, wurde festgenommen. Außer den Beweisen vom Missbrauch seines eigenen Kindes – »widerwärtige, abartige Handlungen«, wie es dann mal im Urteil hieß – fanden die Beamten noch tausendvierhundert Dateien mit Abbildungen anderer missbrauchter Kinder. Weil er gestanden und gegen einen Kunden von kinderpornografischen Aufnahmen ausgesagt hatte, wurde er nicht für acht Jahre, wie vom Staatsanwalt gefordert, sondern nur für fünf Jahre ins Gefängnis geschickt.
Missbrauch an Zwei- oder Dreijährigen ist treffender mit dem Begriff »Folter« zu bezeichnen. Im Frühjahr 2010 wurde in England ein achtundzwanzigjähriger Vater verhaftet, der ebenfalls sein eigenes Kind, ebenfalls Säugling, auf brutalste Weise sexuell missbraucht hatte. Der Mann hatte Fotos ins Netz gestellt, die dokumentierten, wie er das Baby vergewaltigte. Aufgefallen war er Ermittlern einer Abteilung des Bundeskriminalamtes, die nach kinderpornografischem Material von kriminellen Händlern im Internet sucht.
Aufgrund der vielen Veröffentlichungen über das naheliegende Dunkelfeld des Missbrauchs in Deutschland und in Europa ist das weite Feld in der Ferne vernachlässigt, ja fast vergessen
worden, das einst Klaus Meyer-Andersen und Ann Thönnissen erstmals untersucht haben. Laut »Kriminalistik«, dem renommierten monatlichen Fachorgan für »kriminalistische Wissenschaft und Praxis«, fliegen jährlich rund vierhundertausend Deutsche, als normale Pauschaltouristen getarnt, nach Thailand, auf die Philippinen, nach Marokko, Kuba, Sri Lanka, Kambodscha usw. Sie haben ein Ziel: Sex – was zwar unter Erwachsenen oder bei Prostituierten nicht strafbar ist. Laut einer Untersuchung des Bundesgesundheitsministeriums wollen aber 11,3 Prozent von denen, also wohl mehr als vierzigtausend, ausschließlich Sex mit Kindern. Was bedeutet, dass täglich von deutschen Flughäfen mehr als hundert Männer abheben, um sich an Kindern zu vergehen. In Deutschland ist das strafbar, doch im Ausland kommen sie meist ungestraft davon. Es gibt keine Rechtshilfeabkommen mit Ländern, in denen beispielsweise Militärdiktatoren herrschen oder trotz demokratischer Verhältnisse Armut und Korruption. Was die Sextouristen gnadenlos ausnützen. Aber warum werden sie nicht bei ihrer Rückkehr an deutschen Flughäfen empfangen und vorgeladen? Würde sich das nicht schnell herumsprechen und vielleicht manche davon abhalten, erneut auf Missbrauchsreise zu gehen?
»Dunkelziffer« wartet nicht darauf, dass seine Berater von Schulen eingeladen werden, sondern schreibt selbst gezielt Grundschulen an, führt altersgerechte kleine Theaterstücke auf, in denen bestimmte Szenarios sexueller Kontaktaufnahmen vorgespielt werden, wie sie aus vielen
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