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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Person gesehen und identifiziert und beschlossen, bei Jenitzky wegen einer kleinen Dichthaltegebühr vorstellig zu werden.«
    Â»Und das musste er sich notieren?« Lehmann hielt die Liste argwöhnisch gegen die trübe Mittagssonne. Er brauchte einen Kaffee, zwei, drei Tassen, möglichst schnell, möglichst jetzt.
    Â»Der Mann war strohdumm und im Suff höchst vergesslich«, vermutete Belfort und fügte kopfschüttelnd hinzu: »… aber immerhin ziemlich schnell auf den Beinen.«
    Sándor deutete mit dem Daumen hoch zur Fassade des KaDeWe. »Und wer stand oben an der Personaltür? Jenitzky?« Er lachte auf.
    Belfort fixierte ihn mit schmalen Augen.
    Â»Natürlich nicht er selbst. Aber wenn Hallstein einen von Jenitzkys Männern identifiziert hat … Wer sagt uns denn, dass es nicht umgekehrt genauso war und die Jenitzky-Burschen gemerkt haben, dass der Typ sie erkannt hat? Deshalb wollten sie ihn zu fassen kriegen, bevor wir selbst ihm diese kleine Beobachtung entlocken konnten. Vielleicht hatte Hallstein auch schon Kontakt aufgenommen, und Jenitzky wusste, dass er erpresst werden sollte. Also wurde ein Treffen verabredet, dem wir fast zuvorgekommen wären. Wäre gut für den Dreckskerl gewesen, wenn wir im KaDeWe ein bisschen schneller gewesen wären.« Er bedachte Lehmann mit einem fast vorwurfsvollen Seitenblick.
    Sándor Lehmann versuchte erfolglos, sich einen Reim auf die Ereignisse zu machen. Warum sollte Jenitzky die Femina unter Gas setzen? Wollte er den Schuppen sturmreif schießen und übernehmen? Hatte ihm Liemann ins Geschäft gepfuscht? Es gab mehr Fragen als Antworten an diesem unangenehm hellen Tag.
    Belfort war schon auf dem Weg zum Wagen und zog unterwegs den blutverschmierten Mantel aus, um Gennats motorisierte Leihgabe nicht zu besudeln. Lehmann winkte ab und überquerte die Straße. Am Alexanderplatz braute Fräulein Wunder eine gut gemeinte, aber im Grunde ungenießbare Brühe; richtigen Kaffee gab es hier gleich gegenüber der Femina in der kleinen Bar von Mutter Fuhs.

HERTHA FUHS
    Die kleine Bar in der Nürnberger Straße, die Julian Fuhs’ Mutter Hertha gehörte, war geschlossen oder, genauer gesagt: Sie war verrammelt und verriegelt. Sándor Lehmann wunderte sich; gestern Nachmittag hatten sie hier noch geprobt, pleitegegangen sein konnte das kleine Ding in der Zwischenzeit eigentlich nicht, obwohl die Zeiten schwer waren. Julian brachte das Thema zwar regelmäßig zur Sprache, aber meist machten seine Mutter und er sich nur einen Scherz daraus – es sah wirklich urkomisch aus, wenn der Bandleader mit dem Gesicht eines Komikers mit Augenaufschlag seinen Arm um die mollige Hertha legte und mit gespielter Besorgtheit schnurrte: »Mama … werden wir pleitegehen?«, worauf seine Mutter kopfschüttelnd und lächelnd verneinte: »Ach was, so was ist was für große Etablissements … Das können wir uns doch gar nicht leisten, mein Junge!« Nein, zwischen der gestrigen Probe und diesem sonnigen Nachmittag ging man nicht einfach pleite, nicht mal in Berlin in den irrwitzigen Aufs und Abs nach der Weltwirtschaftskrise.
    Ãœberhaupt, gestern, die Probe: Im Chaos des Gasangriffs und der heutigen Geschehnisse hatte er die Probe ganz vergessen; die Probe – und Bella, die neue Sängerin. Ihr Name klappte urplötzlich mit einem kleinen Tusch in seinem Kopf auf, mit einem süßen Duft und grellem Blühen wie die albernen Scherzartikel-Blumensträuße, die die fliegenden Händler abends in den Kneipen verkauften. Aus der Femina lebend herausgekommen war sie zweifellos; auf der Straße hatte er sie nicht mehr gesehen, und dann hatte es zu viel zu tun gegeben für ihn, um nach ihr zu suchen. Sándor schloss die Augen und rief sich ihren Auftritt auf der Kellerstiege vor Augen, ihre freche Retourkutsche auf seine Unverfrorenheit mit der Groschenmünze – und den langen Blick bei seinem Klarinettensolo.
    Â»I’m lost without you«: Sándor sang den Refrain vor sich hin und trommelte den Rhythmus des langsamen Foxtrotts an die groben Bretter, mit denen Hertha Fuhs’ Lokal vernagelt war, und offenbar hatte er mit dem Foxtrott ein geheimes Klopfzeichen gegeben, denn Sekunden später öffnete sich neben ihm die Tür eines Hauseinganges, und Hertha selbst steckte ihren runden Kopf durch den Spalt und zischte ihm zu:
    Â»Sándor, Sie

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