Black Bottom
sindâs â kommâse hier lang, hinten ist offen!«
Im Inneren der Bar sah es aus wie immer; die Gläser waren blank poliert, Hertha wienerte hinterm Tresen rum, und auf einem Barhocker brütete Julian über ein paar neuen Arrangements. Arno Lewitsch, der Geiger, war auch da; er hatte eine Batterie bunter Likörflaschen auf dem Tresen aufgebaut und versuchte, in einem langen Cocktailglas mit Löffel und Eiswürfeln für Hertha Fuhs ein sensationelles neues Getränk zu kreieren, das er »Pluto« nennen wollte â nach dem neuen Planeten, den der amerikanische Astronom Tombaugh im Februar entdeckt hatte.
»Plütoh?«, fragte Sándor, der von seiner Mutter eisern und erfolglos ein bisschen Küchenfranzösisch eingetrichtert bekommen hatte, das sie wiederum bei den hohen Herrschaften aufgeschnappt hatte, »ist das nicht französisch und heiÃt, warte mal â ziemlich?«
Arno Lewitsch ging auf den Spaà nicht ein.
»Ziemlich falsch«, dozierte er mit schwerer Zunge. »Pluto ist der Gott der griechischen Unterwelt. Der griechische Gott der Unterwelt. So ziemlich. Und weil er der neunte Planet unseres Sonnensystems ist, müsste ein Cocktail dieses Namens aus neun verschiedenen Zutaten bestehen. Aber wie ich das Zeug auch mische«, er deutete mit glasigem Blick auf das bunte Flaschenarsenal, »es kommen nur die Ringe des Saturns raus.«
Hertha Fuhs mischte sich ein: »Sterne sieht er auch schon â Arno, ich mixe meine Drinks hier selber, ich brauche Ihre Hilfe nicht, geben Sie her!«, forderte sie den Geiger auf und rang mit ihm um eine halb leere Flasche Curaçao, während Arno gleichzeitig eine olivbräunliche Melange aus wild verquirlten Likören hastig herunterschluckte.
Sándor war erleichtert, hier in der Bar alles beim Alten vorzufinden, und erkundigte sich bei Mutter Fuhs nach dem Grund der Verdunklung. Die resolute Frau stützte sich mit dem nackten Arm ihrer hochgekrempelten Kellnerinnenbluse auf den Tresen und patschte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
»Weil ich nicht meschugge bin, nicht bleed, Sándor â darum ist hier zappenduster!«
Julian blickte kurz auf und quittierte den Jargon-Ausbruch seiner Mutter mit einem vorwurfsvollen »Mama!«. Doch die Alte breitete die Arme aus und deutete durch die dunklen Bretter hinüber Richtung Femina.
Sie senkte die Stimme; der betrunkene Arno Lewitsch sollte nicht mitbekommen, was auÃer ihr und Julian niemand sonst in der Band wusste â das kleine Geheimnis, womit Sándor Lehmann sein tägliches Brot verdiente. Sándor wusste nicht, was die Musiker tagsüber trieben â eigentlich wusste er es doch, das brachte sein Beruf so mit sich. Aber er wollte es nicht wissen, und die Kollegen an Bass, Schlagzeug und Saxofon ging sein eigenes Leben einen Dreck an. Nicht wissen, was der andere so macht: Das war eine solide Basis für musikalische Zusammenarbeit. Hertha Fuhs jedenfalls wahrte sein Geheimnis und raunte:
»Gestern Nacht das Spektakel â ich habâs ja alles von hier aus wie aus der Kaiserloge mit ansehen können. Habt ihr die Halunken schon erwischt? Nee? Nebbich! Weil die Braunhemden, die unter dem Schutz der Berliner Polizei stehen, sowieso schon wissen, wem sie für die Sache die Scheiben eindreschen werden. Uns Juden!«
Sándor Lehmann seufzte angesichts dieser sehr vereinfachenden Darstellung, doch Hertha Fuhs lieà den gespielten Protest dieses netten Polizisten nicht gelten. Sie war nicht mehr die Jüngste, und die Zeiten waren kompliziert â aber ein geradezu siebter Sinn lieà sie sehr genau wissen, wann Gefahr drohte. Die Rabauken von der SA â über 50.000 Mann liefen in den braunen Hemden durch die Stadt, eine rabiate und illegale Parteiarmee â waren nun mal schnell zur Stelle, wenn irgendwas in der Stadt passierte, und gaben immer den Juden die Schuld. Wenn ein Kaufhaus seine Waren wegen der schlechten Lieferbedingungen überteuert verkaufte, waren die Juden schuld und es wurden ein paar Schaufensterscheiben eingeschlagen. Wenn ein Sexual- oder Gewaltverbrechen passierte, machten die SA-Männer mit Holzknüppeln und Schanzzeug â Klappspaten, Picken, Beilen â Jagd auf vermeintlich degenerierte jüdische Untermenschen. Und wenn sich Sozialdemokraten oder Kommunisten in ihren Publikationen für einen jüdischen Journalisten oder Handelsbetrieb
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