Black Bottom
starkmachten, wurde dem gleich die ganze Bude abgefackelt.
Deshalb war Hertha Fuhsâ Vorsicht für den Moment vielleicht noch übertrieben, aber konnte sie wissen, was noch alles passieren würde? Ab und an lugte sie aus der schweren Hofeinfahrt auf die StraÃe, um nachzusehen, ob die Kriminalen und die Schutzpolizei drüben schon abgezogen waren â falls die Femina am Abend wirklich wieder aufmachen würde, würde sie ebenfalls öffnen und den Laden andernfalls noch ein paar Tage geschlossen halten. Ihr Sohn Julian und seine Jungs konnten natürlich trotzdem unten im Keller ihre Jazzmusik üben â »Jatz« sprach Hertha trotzig das moderne Wort aus, und Julian korrigierte mehr als einmal geduldig von seinen Notenblättern aus: »Dschässs, Mama, Dschässs!« Der Bengel hatte mit ihr Frieden geschlossen; das war nicht immer so gewesen. Ihr längst verstorbener Gatte und auch sie selbst hatten es damals nicht gern gesehen, dass ihr talentierter, intelligenter Sohn sich nach dem bravourösen Abschluss des Sternâschen Konservatoriums so völlig dieser modernen Musik hingegeben hatte. Als erster Spross ihrer Familie hatte Julian das Zeug dazu, ein Doktor zu werden, ein Versicherungsmann oder Bankdirektor. Also sollte dieser kluge Junge auch etwas aus seinem Talent machen, um nicht wie Wilhelm Fuhs und seine Frau von den Einnahmen dieser kleinen Kaschemme leben zu müssen. Stattdessen hatte der Bursche nur die Pianotasten im Kopf! Als Vater Fuhs grob geworden war und den Filius kurzerhand zum Soldaten machen wollte, hatte Julian, gerade achtzehnjährig, ReiÃaus genommen und in Hamburg auf einem der Ãberseedampfer angeheuert, sich mit unermüdlichem Klaviergeklimper die Ãberfahrt nach New York verdient. Vierzehn lange Jahre hatte Hertha Fuhs auf ein Lebenszeichen ihres Sohnes gewartet â eine Zeit, die sie fast umgebracht hätte und in der sie nach dem Kriegstod ihres Mannes selbst die beste Kundin ihrer eigenen Bar geworden war; Jahre voller Verzweiflung und Hunger, in denen das Ãberleben wichtiger gewesen war als Fragen von Moral und Anstand. Vierzehn Jahre lang hatte sie ihren Sohn vermisst wie ein fehlendes Körperteil, ein Schmerz, der nie nachlieÃ, nie verging und der sie vielleicht zuverlässiger zum Weiterleben gezwungen hatte, als der eigene Ãberlebenstrieb es gekonnt hätte. Sicher, Abertausende von Familien hatten ihre Söhne im Krieg gelassen, und der Tod ihres Mannes hatte sie auch mit einer schneidend harten Breit seite getroffen; doch das Wissen, dass Julian nicht im Krieg gewesen war, sondern polizeilich seine Ãberfahrt an Bord des HAPAGDampfers »Deutschland« nach New York bestätigt worden war â dass er vielleicht noch lebte dort drüben in den Staaten und trotzdem nichts von sich hören lieà â, dieses Wissen hielt sie am Leben und brachte sie gleichzeitig fast um.
Vierzehn Jahre war eine unendlich lange Zeit, aber Julians Streit mit dem Alten hatte bei ihm Wunden geschlagen, die erst heilen mussten. 1924, mit 32 Jahren, hatte ihr verlorener Sohn dann plötzlich in der Tür gestanden; ein ironischer, weltgewandter junger Mann voller Ideen, mit einem kleinen Bündel Erspartem für die erste Zeit und einem ganzen Schrankkoffer voller Noten ⦠Und auch wenn Hertha nach einer ersten Woge von Glückseligkeit doch skeptisch gewesen war, wie ihr Sohn diese Jazzarrangements zu Geld machen wollte: Der Junge war seinen Weg gegangen, hatte die Berliner Musikerlokale abgeklappert, Kontakte geknüpft, an den richtigen Stellen die richtigen Namen fallen lassen und die ambitioniertesten Talente zu gemeinsamen Bandproben zusammengebracht. Er hatte im Nu eine Kapelle auf die Beine gestellt, die erst unter den Jazzbegeisterten der Stadt und schnell auch bei einem weit gröÃeren Publikum Furore gemacht hatte. Und sie selbst, Hertha Fuhs, hatte sich am Riemen gerissen und sich herausgearbeitet aus dem Sumpf aus Suff und Gleichgültigkeit; hatte ihre kleine Bar renoviert, ein paar notorische Säufer dauerhaft vor die Tür gesetzt und alles getan, ihrem glänzenden Sohn, auf den sie nun doch sehr stolz war, keine Schande zu machen.
Seit seiner Wiederkehr konnte sie ihrem Jul, wie sie den Mann mit der Hornbrille noch immer nannte, nicht mehr böse sein; sie hatte einen Narren an ihrem wiedergefundenen Sohn gefressen und erfüllte ihm jeden Wunsch, auch wenn sie schwarzsah,
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